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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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der menschlichen Existenz und der Welt überhaupt dar. Als ein unus mundus<br />

umfaßt es sowohl den Aspekt des Seins an sich, wie auch den seines<br />

Erkanntseins, ohne den eine Welt nicht ist. Buddha h<strong>at</strong> die kosmogonische<br />

Würde des menschlichen Bewußtseins wohl gesehen und verstanden; darum<br />

sah er deutlich, daß, wenn es einem gelänge, das Licht des Bewußtseins<br />

auszulöschen, die Welt ins Nichts versänke. Schopenhauers unsterbliches<br />

Verdienst war es , dies noch oder wieder erkannt zu haben.<br />

Auch Christus ist - wie Buddha - eine Verkörperung des Selbst, aber in einem<br />

ganz anderen Sinne. Beide sind W eltüberwinder:<br />

Buddha ist es aus sozusagen vernünftiger Einsicht, Christus wird es als<br />

schicksalsmäßiges Opfer. Im Christentum wird es mehr erlitten, im<br />

Buddhismus mehr gesehen und getan. Beides ist richtig, aber im indischen<br />

Sinne ist Buddha der vollständigere Mensch. Er ist eine historische<br />

Persönlichkeit und darum für den Menschen leichter verständlich. Christus ist<br />

historischer Mensch und Gott, und darum viel schwerer erfaßbar. Im Grunde<br />

genommen war er auch sich selber nicht erfaßbar; er wußte nur, daß er sich<br />

opfern müsse, wie es ihm <strong>von</strong> innen her auferlegt wurde. Sein Opfer ist ihm<br />

zugestoßen als ein Schicksal. Buddha handelte aus Einsicht. Er h<strong>at</strong> sein Leben<br />

gelebt und ist als alter Mann gestorben. Christus ist wahrscheinlich nur sehr<br />

kurz als das, was er ist, tätig gewesen 6 .<br />

Später ist im Buddhismus dasselbe eingetreten wie im Christentum:<br />

Buddha wurde sozusagen zur Imago der Selbstwerdung, die nachgeahmt<br />

wird, während er selber verkündet h<strong>at</strong>te, daß durch die Überwindung der<br />

Nidäna-Kette jeder einzelne Mensch zum Erleuchteten, zum Buddha, werden<br />

könne. Ähnlich verhält es sich Im Christentum: Christus ist das Vorbild, das<br />

in jedem christlichen Menschen als dessen ganzheitliche Persönlichkeit lebt.<br />

Die historische Entwicklung führte aber zur «imit<strong>at</strong>io Christi», bei welcher<br />

der Einzelne nicht seinen eigenen schicksalsmäßigen Weg zur<br />

* In späteren Gesprächen verglich <strong>Jung</strong> Buddha und Christus in ihrer Einstellung<br />

dem Leiden gegenüber. Christus erkennt im Leiden einen positiven Wert, und als<br />

Leidender ist er menschlicher und wirklicher als Buddha. Buddha versagte sich das<br />

Leiden, damit aber auch die Freude. Er war <strong>von</strong> Gefühlen und Emotionen abgeschnitten<br />

und darum nicht wirklich menschlich. In den Evangelien ist Christus so geschildert, daß<br />

er nicht anders denn als Gottmensch verstanden werden kann, obwohl er eigentlich nie<br />

aufgehört h<strong>at</strong>, Mensch zu sein, während sich Buddha schon zu Lebzeiten über das<br />

Menschsein erhoben h<strong>at</strong>. A. J.<br />

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