30.12.2012 Aufrufe

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

liches Leben war <strong>von</strong> dieser Erde; ihr unsichtbarer innerer Mensch aber h<strong>at</strong>te<br />

seine Herkunft und seine Zukunft im Urbild der Ganzheit, im ewigen V<strong>at</strong>er,<br />

wie der Mythus der christlichen Heilsgeschichte lautet.<br />

Wie der Schöpfer ganz ist, so soll auch sein Geschöpf, also sein Sohn, ganz<br />

sein. Von der Vorstellung der göttlichen Ganzheit läßt sich zwar nichts<br />

abstreifen; aber ohne daß Bewußtheit herrschte über das, was geschah, ergab<br />

sich eine Spaltung der Ganzheit. Es entstand ein helles und ein dunkles Reich.<br />

Dieses Ergebnis war, noch bevor Christus erschien, deutlich vorbereitet, wie<br />

man es unter anderem in Hiobs Erlebnis wahrnehmen kann oder in dem<br />

unmittelbar vorchristlichen und weitverbreiteten Buch Henoch. Auch im<br />

Christentum bestand diese metaphysische Spaltung ebenso deutlich weiter:<br />

S<strong>at</strong>an, der sich im Alten Testament noch in der unmittelbaren Gefolgschaft<br />

Jahwes befand, bildete nunmehr den diametralen und ewigen Gegens<strong>at</strong>z zur<br />

Gotteswelt. Er war nicht zu entwurzeln. Es ist deshalb nicht zu verwundern,<br />

daß schon am Anfang des 11. Jahrhunderts der Glaube aufkam, daß nicht<br />

Gott, sondern der Teufel die Welt geschaffen habe. Dies war der Auftakt zur<br />

zweiten Hälfte des christlichen Aeons, nachdem schon der Mythus vom<br />

Engelsturz erzählt h<strong>at</strong>te, daß es die gefallenen Engel gewesen seien, die den<br />

Menschen gefährliche Wissenschaft und Künste gelehrt hätten. Was hätten<br />

diese alten Erzähler wohl zu dem Anblick <strong>von</strong> Hiroshima gesagt?<br />

Die geniale Vision Jacob Boehmes h<strong>at</strong> die Gegens<strong>at</strong>zn<strong>at</strong>ur des Gottesbildes<br />

erkannt und damit am Weiterbau des Mythus gearbeitet. Das <strong>von</strong> Boehme<br />

entworfene Mandalasymbol stellt den gespaltenen Gott dar, indem sein<br />

innerer Kreis sich in zwei Halbkreise trennt, welche Rücken zu Rücken<br />

stehen 4 .<br />

Da nach den dogm<strong>at</strong>ischen Voraussetzungen des Christentums Gott in<br />

jeder der drei trinitarischen Personen ganz ist, so ist Er auch ganz in jedem<br />

Teil des ausgegossenen Hl. Geistes. Auf diese Weise kann jeder Mensch des<br />

ganzen Gottes und damit der fili<strong>at</strong>io, der Gotteskindschaft, teilhaftig werden.<br />

Die complexio oppositorum des Gottesbildes tritt damit in den Menschen ein,<br />

und zwar nicht als Einheit, sondern als Konflikt, indem sich die dunkle Hälfte<br />

des Bildes an der bereits rezipierten Vorstellung stößt, daß Gott «licht» sei.<br />

Dieser Vorgang ist es, der sich in unserer Zeit abspielt, ohne <strong>von</strong><br />

4 Abgebildet in «Gestaltungen des Unbewußten», 1950, Tafel 3, in Ges. Werke IX/1,<br />

1976, Figur l.<br />

336

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!