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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Anfang des Jahrhunderts Schizophrenien psychotherapeutisch behandelt.<br />

Diese Methode h<strong>at</strong> man nicht erst heute entdeckt. Aber es brauchte noch sehr<br />

viel Zeit, bis man anfing, die Psychologie in die Psychotherapie<br />

aufzunehmen.<br />

Als ich noch in der Klinik war, mußte ich meine schizophrenen P<strong>at</strong>ienten<br />

sehr diskret behandeln. Ich mußte sehr vorsichtig sein, wollte ich den<br />

Vorwurf der Phantasterei vermeiden. Schizophrenie, oder, wie es damals<br />

hieß, «Dementia praecox», galt als unheilbar. Wenn sich eine Schizophrenie<br />

mit Erfolg behandeln ließ, sagte man einfach, es sei eben keine gewesen.<br />

Als Freud mich 1908 in Zürich besuchte, demonstrierte ich ihm den Fall<br />

der Babette. Nachher sagte er zu mir: «Wissen Sie, <strong>Jung</strong>, was Sie bei dieser<br />

P<strong>at</strong>ientin herausgefunden haben, ist ja sicher interessant. Aber wie haben Sie<br />

es bloß aushalten können, mit diesem phänomenal häßlichen Frauenzimmer<br />

Stunden und Tage zu verbringen?» - Ich muß ihn etwas entgeistert angeschaut<br />

haben, denn .dieser Gedanke war mir überhaupt nie gekommen. Mir war sie<br />

in einem gewissen Sinne ein freundliches altes Ding, weil sie so schöne<br />

Wahnideen h<strong>at</strong>te und so interessante Sachen sagte. Und schließlich tr<strong>at</strong> auch<br />

bei ihr aus einer Wolke <strong>von</strong> groteskem Unsinn die menschliche Gestalt<br />

hervor. Therapeutisch ist bei Babette nichts geschehen, dazu war sie schon zu<br />

lange krank. Aber ich habe andere Fälle gesehen, bei welchen diese Art des<br />

sorgfältigen Eingehens eine nachhaltige therapeutische Wirkung h<strong>at</strong>te.<br />

Von außen gesehen, erscheint bei den Geisteskranken nur die tragische<br />

Zerstörung, selten aber das Leben jener Seite der Seele, die uns abgewandt ist.<br />

Häufig trügt der äußere Anschein, wie ich zu meinem Erstaunen in dem Fall<br />

einer jungen k<strong>at</strong><strong>at</strong>onen P<strong>at</strong>ientin erfuhr. Sie war achtzehnjährig und stammte<br />

aus einer gebildeten Familie. Mit fünfzehn Jahren wurde sie <strong>von</strong> ihrem<br />

Bruder verführt und <strong>von</strong> Schulkameraden mißbraucht. Vom sechzehnten<br />

Jahre an vereinsamte sie. Sie verbarg sich vor den Menschen und h<strong>at</strong>te<br />

schließlich nur noch eine Gefühlsbeziehung zu einem bösen Hofhund, der<br />

anderen Leuten gehörte, und den sie umzustimmen versuchte. Sie wurde<br />

immer merkwürdiger, und mit siebzehn Jahren kam sie ins Irrenhaus, wo sie<br />

anderthalb Jahre zubrachte. Sie hörte Stimmen, verweigerte die Nahrung und<br />

war völlig mutazistisch (d. h. sprach nicht mehr). Als ich sie zum ersten Mal<br />

sah, befand sie sich in einem typisch k<strong>at</strong><strong>at</strong>onen Zustand.<br />

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