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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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einen kreisrunden Weiher. Im Wasser lag, halb eingetaucht, das<br />

wunderseltsamste Gebilde: ein rundes Tier, in vielen Farben schillernd, das<br />

aus vielen kleinen Zellen bestand, oder aus Organen, die wie Tentakel<br />

geformt waren. Eine Riesenradiolarie <strong>von</strong> etwa einem Meter Durchmesser.<br />

Daß dieses herrliche Gebilde ungestört an der verborgenen Stelle im klaren,<br />

tiefen Wasser lag, erschien mir unbeschreiblich wunderbar. Es erweckte in<br />

mir die höchste Wißbegier, so daß ich mit klopfendem Herzen erwachte. -<br />

Diese beiden <strong>Träume</strong> bestimmten mich mit Übermacht für die N<strong>at</strong>urwissenschaft<br />

und beseitigten jeglichen Zweifel in dieser Hinsicht.<br />

Es wurde mir bei dieser Gelegenheit klar, daß ich in der Zeit und an einem<br />

bestimmten Ort lebte, wo man sein Leben verdienen mußte. Zu diesem<br />

Zwecke mußte man dieses oder jenes sein, und ich war tief da<strong>von</strong><br />

beeindruckt, daß alle meine Kameraden <strong>von</strong> dieser Notwendigkeit erfüllt<br />

waren und überhaupt nicht darüber hinaus dachten. Ich kam mir selber<br />

merkwürdig vor. Warum konnte ich mich nicht entscheiden und endgültig<br />

festlegen? Selbst der mühsame D., der mir <strong>von</strong> meinem Deutschlehrer als<br />

Vorbild des Fleißes und der Gewissenhaftigkeit vorgehalten worden war, war<br />

sicher, daß er Theologie studieren würde. Ich sah ein, daß ich mich dazu<br />

bequemen müßte, mich einmal hinzusetzen und die Sache auszudenken. Als<br />

Zoologe z. B. könnte ich nur Schulmeister werden oder bestenfalls<br />

Angestellter an einem zoologischen Garten. Das war keine Aussicht, auch bei<br />

bescheidenen Ansprüchen. Vor dem Schullehrerdasein hätte ich allerdings<br />

letzteres vorgezogen.<br />

In dieser Sackgasse kam mir der erleuchtende Gedanke, ich könnte<br />

Medizin studieren. Merkwürdigerweise war mir das früher nie eingefallen,<br />

obwohl mein Großv<strong>at</strong>er väterlicherseits, <strong>von</strong> dem ich soviel gehört h<strong>at</strong>te, auch<br />

Arzt gewesen war. Gerade deshalb h<strong>at</strong>te ich sogar gewisse Widerstände gegen<br />

diesen Beruf. «Nur nicht nachmachen» war meine Devise. Jetzt aber sagte ich<br />

mir, daß das Medizinstudium wenigstens mit n<strong>at</strong>urwissenschaftlichen Fächern<br />

beginne. Insofern käme ich also auf meine Re chnung. Überdies war das<br />

Gebiet der Medizin so mannigfaltig, daß man immer noch eine Möglichkeit<br />

h<strong>at</strong>te, sich in irgendeiner wissenschaftlichen Richtung zu betätigen.<br />

«Wissenschaft» stand für mich fest. Die Frage war nur wie? Ich mußte mir<br />

mein Leben verdienen, und da ich kein Geld h<strong>at</strong>te, konnte ich keine fremde<br />

Universität besuchen, um mich auf eine wissenschaftliche Laufbahn<br />

vorzubereiten. Ich könnte bestenfalls zu einem Dilettanten der Wissenschaft<br />

wer-<br />

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