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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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durch das Symbol Gegensätze sich so einen können, daß sie nicht mehr<br />

auseinanderstreben und sich bekämpfen, sondern sich gegenseitig ergänzen<br />

und das Leben sinnvoll gestalten, dem wird die Ambivalenz im Bild eines<br />

N<strong>at</strong>ur- und Schöpfergottes keine Schwierigkeiten verursachen. Er wird im<br />

Gegenteil den Mythus <strong>von</strong> der notwendigen Menschwerdung Gottes, der<br />

essentiellen christlichen Botschaft, als schöpferische Auseinandersetzung des<br />

Menschen mit den Gegensätzen und ihre Synthese im Selbst, der Ganzheit<br />

seiner Pers önlichkeit, verstehen. Die notwendigen inneren Gegensätze im<br />

Bilde eines Schöpfergottes können in der Einheit und Ganzheit des Selbst<br />

versöhnt werden als coniunctio oppositorum der Alchemisten oder als unio<br />

mystica. In der Erfahrung des Selbst wird nicht mehr, wie früher, der<br />

Gegens<strong>at</strong>z «Gott und Mensch» überbrückt, sondern der Gegens<strong>at</strong>z im<br />

Gottesbild. Das ist der Sinn des «Gottesdienstes», d. h. des Dienstes, den der<br />

Mensch Gott leisten kann, daß Licht aus der Finsternis entstehe, daß der<br />

Schöpfer Seiner Schöpfung und der Mensch seiner selbst bewußt werde.<br />

Das ist das Ziel oder ein Ziel, das den Menschen sinnvoll der Schöpfung<br />

einordnet und damit auch dieser Sinn verleiht. Es ist ein erklärender Mythus,<br />

der langsam im Lauf der Jahrzehnte in mir gewachsen ist. Es ist ein Ziel, das<br />

ich erkennen und würdigen kann, und das mich deshalb befriedigt.<br />

Der Mensch ist vermöge seines reflektierenden Geistes aus der Tierwelt<br />

herausgehoben und demonstriert durch seinen Geist, daß die N<strong>at</strong>ur in ihm<br />

eine hohe Prämie eben gerade auf die Bewußtseinsentwicklung gesetzt h<strong>at</strong>.<br />

Durch sie bemächtigt er sich der N<strong>at</strong>ur, indem er das Vorhandensein der Welt<br />

erkennt und dem Schöpfer gewissermaßen bestätigt. Damit wird die Welt zum<br />

Phänomen, denn ohne bewußte Reflexion wäre sie nicht. Wäre der Schöpfer<br />

Seiner selbst bewußt, so brauchte Er keine bewußten Geschöpfe; auch ist es<br />

nicht wahrscheinlich, daß die höchst indirekten Wege der Schöpfung, die<br />

Jahrmillionen auf die Erzeugung ungezählter Arten und Geschöpfe<br />

verschwendet, aus zweckgerichteter Absicht hervorgehen. Die<br />

N<strong>at</strong>urgeschichte erzählt uns <strong>von</strong> einer zufälligen und beiläufigen Wandlung<br />

der Arten durch Hunderte <strong>von</strong> Millionen Jahren und <strong>von</strong> Fressen und<br />

Gefressenwerden. Von letzterem berichtet auch die biologische und politische<br />

Menschheitsgeschichte in überreichem Maß. Die Geistesgeschichte aber steht<br />

auf einem ändern Bl<strong>at</strong>t. Hier schiebt sich das Wunder des reflektierenden<br />

Bewußtseins ein, der zweiten Kosmogonie. Die Be-<br />

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