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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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habe ich mir diese Herrlichkeit zwar immer wieder versprochen, aber mein<br />

Versprechen nie eingehalten.<br />

Diese meine erste bewußte Reise war ein oder zwei Jahre später gefolgt<br />

<strong>von</strong> einer zweiten. Ich durfte meinen V<strong>at</strong>er, der seine Ferien in Sachsein<br />

verbrachte, besuchen. Ich erfuhr <strong>von</strong> ihm die eindrucksvolle Neuigkeit, daß er<br />

sich mit dem dortigen k<strong>at</strong>holischen Geistlichen befreundet habe. Das erschien<br />

mir als ein außerordentlich kühnes Unterfangen, und ich bewunderte im<br />

stillen den Mut meines V<strong>at</strong>ers. Ich st<strong>at</strong>tete dort dem Flüeli, der Einsiedelei<br />

und den Reliquien des damals seligen Bruder Klaus einen Besuch ab. Ich<br />

wunderte mich, woher die K<strong>at</strong>holiken wußten, daß Bruder Klaus selig sei. Ob<br />

er vielleicht noch umgeht und es den Leuten gesagt h<strong>at</strong> ? Ich war vom genius<br />

loci stark beeindruckt und konnte mir die Möglichkeit eines derart<br />

gottgeweihten Lebens nicht nur vorstellen, sondern sie auch begreifen - mit<br />

einem innerlichen Schauer und einer Frage, auf die ich keine Antwort wußte:<br />

wie konnten seine Frau und seine Kinder es ertragen, daß der Mann und V<strong>at</strong>er<br />

ein Heiliger war, wo es doch gerade gewisse Fehler und Unzulänglichkeiten<br />

waren, die mir meinen V<strong>at</strong>er besonders liebenswert machten? Ich dachte: Ja,<br />

wie könnte man mit einem Heiligen zusammenleben? Das war offenbar auch<br />

für ihn nicht möglich, und er mußte darum ein Einsiedler werden. Immerhin<br />

war es nicht allzuweit <strong>von</strong> seiner Zelle zu seinem Haus. Ich fand diese Idee<br />

auch nicht so übel, die Familie in dem einen Haus zu wissen, und ich würde<br />

in einem anderen, etwas entfernten Pavillon eine Menge Bücher und einen<br />

Schreibtisch und ein offenes Feuer haben, darin Kastanien rösten und darüber<br />

meinen Suppentopf auf einem Dreibein aufsetzen. Als heiliger Einsiedler<br />

müßte ich auch nicht mehr zur Kirche gehen, sondern ich hätte meine<br />

Priv<strong>at</strong>kapelle.<br />

Vom Flüeli ging ich noch ein Stück Weges aufwärts, in meinen <strong>Gedanken</strong><br />

wie in einem Traum verloren, und wandte mich eben zum Abstieg, als <strong>von</strong><br />

links her die schlanke Gestalt eines jungen Mädchens auftauchte. Sie trug die<br />

Landestracht, h<strong>at</strong>te ein hübsches Gesicht und grüßte mit freundlichen blauen<br />

Augen. Wie selbstverständlich gingen wir zusammen zu Tal. Sie war<br />

ungefähr gleich alt wie ich. Da ich keine anderen Mädchen kannte als meine<br />

Cousinen, so fühlte ich mich in einiger Verlegenheit, wie ich zu ihr reden<br />

sollte. Ich begann daher zögernd zu erklären, ich sei hier für ein paar Tage in<br />

den Ferien. Ich sei in Basel auf dem Gymnasium<br />

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