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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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nicht mehr ist, wie es war. Ich erinnere mich noch der Tage, wo es einen<br />

Bachofen gab und einen Jakob Burckhardt, wo hinter dem Münster noch das<br />

alte Kapitelhaus stand und die alte Rheinbrücke zur Hälfte aus Holz war.<br />

Für meine Mutter war es hart, daß ich Basel verließ. Aber ich wußte, daß<br />

ich ihr diesen Schmerz nicht ersparen konnte, und sie h<strong>at</strong> es tapfer getragen.<br />

Sie lebte mit meiner Schwester zusammen, die neun Jahre jünger war als ich,<br />

eine zarte und kränkliche N<strong>at</strong>ur und in jeder Beziehung verschieden <strong>von</strong> mir.<br />

Sie war für das Leben einer alten <strong>Jung</strong>fer wie geboren und h<strong>at</strong> auch nicht<br />

geheir<strong>at</strong>et. Aber sie entwickelte eine bemerkenswerte Persönlichkeit, und ich<br />

habe ihre Haltung bewundert. Sie war eine geborene «Lady», und so ist sie<br />

auch gestorben. Sie mußte sich einer Oper<strong>at</strong>ion unterziehen, die als harmlos<br />

galt, die sie jedoch nicht überlebte. Es machte mir einen tiefen Eindruck, als<br />

sich herausstellte, daß sie vorher alle ihre Angelegenheiten bis auf das letzte<br />

Pünktchen geordnet h<strong>at</strong>te. Im Grunde genommen war sie mir fremd, aber ich<br />

h<strong>at</strong>te großen Respekt vor ihr. Ich war viel emotionaler, sie hingegen war<br />

immer gelassen, obwohl in ihrer eigentlichen N<strong>at</strong>ur sehr empfindsam. Ich<br />

hätte sie mir in einem Adeligen-Fräulein -Stift denken können, so wie auch die<br />

einzige, um etliche Jahre jüngere Schwester meines Großv<strong>at</strong>ers <strong>Jung</strong> in einem<br />

solchen Fräuleinstift gelebt h<strong>at</strong>te 7 .<br />

Mit der Arbeit im Burghölzli begann mein Leben in einer ungeteilten<br />

Wirklichkeit, ganz nur Absicht, Bewußtheit, Pflicht und Verantwortung. Es<br />

war der Eintritt ins Weltkloster, und die Unterwerfung unter das Gelübde, nur<br />

das Wahrscheinliche, das Durchschnittliche, das Banale und das Sinnarme zu<br />

glauben, allem Fremden und Bedeutenden abzusagen und alles<br />

Ungewöhnliche auf das Gewöhnliche zu reduzieren. Es gab nur Oberflächen,<br />

die nichts ver-<br />

7 Unmittelbar nach dem Tode seiner Schwester schrieb <strong>Jung</strong> folgende Zeilen: «Bis<br />

1904 lebte meine Schwester Gertrud mit ihrer Mutter in Basel. Dann siedelte sie mit<br />

dieser nach Zürich über, wo sie zuerst bis 1909 in Zollikon und <strong>von</strong> da an, bis zu ihrem<br />

Tode, in Küsnacht wohnte. Nach dem im Jahre 1923 erfolgten Tode ihrer Mutter lebte<br />

sie allein. Ihr äußeres Leben war still, zurückgezogen und verlief im engen Kreise<br />

verwandtschaftlicher und freundschaftlicher Beziehungen. Sie war höflich, freundlich,<br />

gütig und versagte der Umwelt neugierige Blicke in ihr Inneres. So starb sie auch,<br />

klaglos, ihr eigenes Schicksal nicht erwähnend, in vollkommener Haltung. Sie legte ein<br />

Leben ab, das sich innerlich erfüllt h<strong>at</strong>te, unberührt <strong>von</strong> Urteil und Mitteilung.»<br />

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