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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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machte, war, daß man mir einen Betrug zumutete und mich damit moralisch<br />

erledigte.<br />

Meine Trauer und Wut drohten maßlos zu werden, aber da geschah etwas, das<br />

ich schon mehrere Male zuvor beobachtet h<strong>at</strong>te:<br />

es wurde plötzlich stille, wie wenn gegen einen lärmerfüllten Raum eine<br />

schalldichte Türe geschlossen würde. Es war, wie wenn eine kühle Neugier<br />

über mich käme mit der Frage: Was ist denn hier los? Du bist ja aufgeregt!<br />

Der Lehrer ist n<strong>at</strong>ürlich ein Dummkopf, der deine Art nicht versteht, d. h.<br />

ebenso wenig versteht wie du. Er ist darum mißtrauisch wie du. Du mißtraust<br />

dir selber und anderen und hältst dich deshalb zu den Einfachen, Naiven urid<br />

Überschaubaren. Man fällt dann in Aufregungszustände, wenn man nicht<br />

versteht.<br />

Angesichts dieser Betrachtung sine ira et Studio fiel mir die Analogie ein<br />

mit jener anderen Überlegung, die mit solcher Nachdrücklichkeit eingesetzt<br />

h<strong>at</strong>te, als ich das Verbotene nicht denken wollte. Damals h<strong>at</strong>te ich zweifellos<br />

noch keinen Unterschied zwischen den Persönlichkeiten Nr. l und Nr. 2<br />

gesehen, sondern h<strong>at</strong>te auch die Welt <strong>von</strong> Nr. 2 als meine persönliche Welt in<br />

Anspruch genommen; doch bestand immer ein hintergründiges Gefühl, daß<br />

noch etwas anderes als ich selber dabei war - etwa wie wenn ein Hauch aus<br />

der großen Welt der Gestirne und der endlosen Räume mich berührt hätte,<br />

oder wie wenn ein Geist unsichtbar ins Zimmer getreten wäre. Einer, der<br />

längst vergangen und doch immerwährend bis in ferne Zukunft im Zeitlosen<br />

gegenwärtig wäre. Peripetien dieser Art waren umschwebt vom Halo eines<br />

Numen.<br />

Ich hätte mich damals selbstverständlich niemals in dieser Art ausdrücken<br />

können, doch lege ich nicht jetzt etwas in meinen damaligen<br />

Bewußtseinszustand hinein, sondern ich versuche bloß, mit meinen heutigen<br />

Mitteln jene Dämmerwelt zu erhellen.<br />

Es war einige Mon<strong>at</strong>e nach dem hier beschriebenen Ereignis, als meine<br />

Schulkameraden mir den Übernamen «Erzv<strong>at</strong>er Abraham» anhängten. Nr. l<br />

konnte das nicht verstehen und fand es dumm und lächerlich. Im Hintergrund<br />

aber fühlte ich, daß es mich irgendwie getroffen h<strong>at</strong>te. Alle Anspielungen auf<br />

meinen Hintergrund waren mir peinlich, denn je mehr ich las und mit der<br />

städtischen Welt bekannt wurde, desto mehr wuchs in mir der Eindruck, daß<br />

das, was ich jetzt als Wirklichkeit kennenlernte, einer anderen Ordnung der<br />

Dinge angehörte als jenes Weltbild, das mit mir auf<br />

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