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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Bald ergab sich etwas anderes. Auf der Vorderfläche sah ich in der<br />

n<strong>at</strong>ürlichen Struktur der Steinfläche einen kleinen Kreis, wie eine Art Auge,<br />

das mich anschaute. Auch das meißelte ich in den Stein, und ins Zentrum<br />

setzte ich ein kleines Männchen. Es ist das Püppchen, das der pupilla im Auge<br />

entspricht, eine Art Kabir, oder der Telesphoros des Aeskulap. Er ist in einen<br />

Kapuzenmantel gehüllt und trägt eine L<strong>at</strong>erne, wie er auf manchen antiken<br />

Darstellungen zu sehen ist. Zugleich ist er ein Wegeweiser! Ihm widmete ich<br />

ein paar Worte, die mir während der Arbeit eingefallen waren. Die Inschrift<br />

ist griechisch, die Übersetzung lautet:<br />

«Die Zeit ist ein Kind - spielend wie ein Kind - ein Brettspiel spielend - das<br />

Königreich des Kindes. Dies ist Telesphoros, der durch die dunkeln Regionen<br />

dieses Kosmos wandert und wie ein Stern aus der Tiefe aufleuchtet. Er weist<br />

den Weg zu den Toren der Sonne und zum Land der <strong>Träume</strong> 3 .» Diese Worte<br />

kamen mir - eines nach dem anderen - während ich am Stein arbeitete.<br />

Auf der dritten, dem See zugewandten Fläche ließ ich den Stein sozusagen<br />

selber in einer l<strong>at</strong>einischen Inschrift sprechen. Alle Sätze sind Zit<strong>at</strong>e aus der<br />

Alchemie. Dies ist die Übersetzung:<br />

«Ich bin eine Waise, allein; dennoch werde ich überall gefunden. - Ich bin<br />

Einer, aber mir selber entgegengesetzt. Ich bin Jüngling und Greis zugleich.<br />

Ich habe weder V<strong>at</strong>er noch Mutter gekannt, weil man mich wie einen Fisch<br />

aus der Tiefe herausnehmen muß. Oder weil ich wie ein weißer Stein vom<br />

Himmel falle. In Wäldern und Bergen streife ich umher, aber ich bin verborgen<br />

im innersten Menschen. Sterblich bin ich für jedermann, dennoch werde<br />

ich nicht berührt vom Wechsel der Zeiten.» Zum Schluß setzte ich unter den<br />

Spruch des Arnaldus de Villanova auf l<strong>at</strong>einisch die Worte: «In Erinnerung an<br />

seinen 75. Geburtstag h<strong>at</strong> C. G. <strong>Jung</strong> ihn aus Dankbarkeit gemacht und<br />

gesetzt im Jahre 195 O.»<br />

Als der Stein fertig war, sah ich ihn immer wieder an, wunderte mich<br />

darüber und fragte mich, was es heiße, daß man so etwas überhaupt macht.<br />

' Der erste S<strong>at</strong>z ist ein Fragment des Heraklit (H. Diels «Die Fragmente der<br />

Vorsokr<strong>at</strong>iker», 1903, Fragment 52), der zweite S<strong>at</strong>z spielt auf die Mithrasliturgie an<br />

(A. Dieterich «Eine Mithrasliturgie», Leipzig und Berlin 1923, pag. 9), der letzte S<strong>at</strong>z<br />

auf Homer (Odyssee, Gesang 24, Vers 12). Für die anderen Inschriften vgl. Glossar<br />

«Alchemie». A. J.<br />

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