30.12.2012 Aufrufe

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

oder Sinn enthalte. Seine konkretistische Terminologie war aber zu eng, um<br />

diesem <strong>Gedanken</strong> Ausdruck zu geben. So h<strong>at</strong>te ich <strong>von</strong> ihm den Eindruck,<br />

daß er im Grunde genommen gegen sein eigenes Ziel und gegen sich selbst<br />

arbeitete; und es gibt keine schlimmere Bitterkeit als die eines Menschen, der<br />

sein eigener ärgster Feind ist. Nach seinem eigenen Ausspruch fühlte er sich<br />

<strong>von</strong> einer «schwarzen Schlammflut» bedroht, er, der vor allen die schwarze<br />

Tiefe auszuschöpfen versucht h<strong>at</strong>te.<br />

Freud h<strong>at</strong> sich nie gefragt, warum er ständig über den Sexus reden mußte,<br />

warum ihn dieser Gedanke so ergriffen h<strong>at</strong>. Es wurde ihm nie bewußt, daß<br />

sich in der «Monotonie der Deutung» eine Flucht vor sich selber ausdrückte,<br />

oder vor jener anderen, vielleicht als «mystisch» zu bezeichnenden Seite in<br />

ihm. Ohne Anerkennung dieser Seite konnte er jedoch nie in Einklang mit<br />

sich selber kommen. Er war blind gegenüber der Paradoxie und<br />

Doppeldeutigkeit der Inhalte des Unbewußten und wußte nicht, daß alles, was<br />

aus dem Unbewußten auftaucht, ein Oben und ein Unten, ein Innen und ein<br />

Außen h<strong>at</strong>. Wenn man über das Außen redet - und das t<strong>at</strong> Freud - so<br />

berücksichtigt man nur die eine Hälfte, und folgerichtig entsteht aus dem<br />

Unbewußten eine Gegenwirkung.<br />

Gegen diese Einseitigkeit Freuds war nichts zu machen. Vielleicht hätte<br />

ihm eine eigene innere Erfahrung die Augen öffnen können; doch womöglich<br />

hätte sein Intellekt auch sie auf «bloße Sexualität» oder «Psychosexualität»<br />

reduziert. Er blieb dem einen Aspekt verfallen, und eben darum sehe ich in<br />

ihm eine tragische Gestalt; denn er war ein großer Mann und, was noch mehr<br />

ist, ein Ergriffener.<br />

Nach jenem zweiten Gespräch in Wien verstand ich auch die<br />

Machthypothese Alfred Adlers, der ich bis dahin nicht genügend<br />

Aufmerksamkeit geschenkt h<strong>at</strong>te: Adler h<strong>at</strong>te, wie viele Söhne, vom «V<strong>at</strong>er»<br />

nicht das gelernt, was dieser sagte, sondern was er t<strong>at</strong> Sodann fiel mir das<br />

Problem <strong>von</strong> Liebe - oder Eros - und Macht wie ein Zentnerstein aufs Gemüt.<br />

Freud h<strong>at</strong>te, wie er mir selber sagte, Nietzsche nie gelesen. Jetzt sah ich seine<br />

Psychologie als einen Schachzug der Geistesgeschichte, der Nietzsches<br />

Vergötterung des Machtprinzips kompensierte. Das Problem lautete offenbar<br />

nicht «Freud versus Adler», sondern «Freud versus Nietzsche». Es schien mir<br />

viel mehr zu bedeuten als einen Hausstreit in der Psy-chop<strong>at</strong>hologie. Der<br />

Gedanke dämmerte mir, daß Eros und Macht-<br />

157

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!