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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Gott gegenüber sowieso machtlos. Etwa vom Moment meines Aus-dem-<br />

Nebel-Heraustretens und Ichwerdens an h<strong>at</strong>ten die Einheit, Größe und<br />

Übermenschlichkeit Gottes begonnen, meine Phantasie zu beschäftigen. So<br />

stand es für mich außer Frage, daß es Gott war, der eine entscheidende Probe<br />

mit mir anstellte, und daß alles darauf ankam, Ihn richtig zu verstehen. Ich<br />

wußte zwar, daß mein schließliches Nachgeben erzwungen würde; es sollte<br />

aber nicht erfolgen ohne mein Verstehen, denn es ging um mein ewiges Seelenheil:<br />

«Gott weiß, daß ich nicht mehr lange widerstehen kann und hilft mir<br />

nicht, obwohl ich im Begriff stehe, zu der Sünde, die nicht vergeben wird,<br />

gezwungen zu werden. Vermöge Seiner Allmacht könnte Er leicht diesen<br />

Zwang <strong>von</strong> mir wegnehmen. Er tut es aber nicht. Sollte es sein, daß Er<br />

meinen Gehorsam prüfen will, indem Er mir die ungewöhnliche Aufgabe<br />

stellt, etwas zu tun, wogegen ich mich aus allen Kräften sträube, weil ich die<br />

ewige Verdammnis fürchte? Denn ich würde mich gegen mein eigenes<br />

moralisches Urteil und gegen die Lehren meiner Religion, ja gegen Sein<br />

eigenes Gebot vergehen. Könnte es sein, daß Gott sehen möchte, ob ich<br />

imstande sei, Seinem Willen zu gehorchen, obwohl mich mein Glaube und<br />

meine Einsicht mit Hölle und Verdammnis schrecken ? Das könnte es<br />

wahrhaftig sein! Aber das sind bloß meine <strong>Gedanken</strong>. Ich kann mich irren.<br />

Ich kann es nicht wagen, mich dermaßen meinen eigenen Überlegungen<br />

anzuvertrauen. Ich muß es nochmals durchdenken!»<br />

Ich kam aber wieder zum selben Schluß. «Gott will offenbar auch meinen<br />

Mut», dachte ich. «Wenn dem so ist und ich tue es, dann wird Er mir Seine<br />

Gnade und Erleuchtung geben.»<br />

Ich faßte allen Mut zusammen, wie wenn ich in das Höllenfeuer zu<br />

springen hätte und ließ den <strong>Gedanken</strong> kommen: Vor meinen Augen stand das<br />

schöne Münster, darüber der blaue Himmel, Gott sitzt auf goldenem Thron,<br />

hoch über der Welt, und unter dem Thron fällt ungeheures Exkrement auf das<br />

neue bunte Kirchen-dach, zerschmettert es und bricht die Kirchenwände<br />

auseinander<br />

Das war es also. Ich spürte eine ungeheure Erleichterung und eine<br />

unbeschreibliche Erlösung. An Stelle der erwarteten Verdammnis war Gnade<br />

über mich gekommen und damit eine unaussprechliche Seligkeit, wie ich sie<br />

nie gekannt h<strong>at</strong>te. Ich weinte vor Glück und Dankbarkeit, daß sich mir<br />

Weisheit und Güte Gottes enthüllt h<strong>at</strong>ten, nachdem ich Seiner unerbittlichen<br />

Strenge erlegen war. Das gab mir das Gefühl, eine Erleuchtung erlebt zu<br />

haben.<br />

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