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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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schön. Aber wie verhält es sich mit dem Geheimnis? Es ist ja auch das<br />

Geheimnis der Gnade. Ihr wißt nichts da<strong>von</strong>. Ihr wißt nicht, daß Gott will,<br />

daß ich sogar das Unrecht tue, das Verfluchte denke, um Seine Gnade zu<br />

erleben.» Alles, was die anderen sagten, traf daneben. Ich dachte: «Um Gottes<br />

willen, irgend jemand muß doch etwas da<strong>von</strong> wissen. Irgendwo muß doch die<br />

Wahrheit stehen.» Ich stöberte in der Bibliothek meines V<strong>at</strong>ers und las, was<br />

ich nur finden konnte über Gott, Trinität, Geist, Bewußtsein. Ich habe die<br />

Bücher verschlungen und bin nicht klug daraus geworden. Immer wieder<br />

mußte ich denken: «Die wissen es auch nicht!» Ich las auch in der Luther-<br />

Bibel meines V<strong>at</strong>ers. Unglücklicherweise h<strong>at</strong>te mir die übliche «erbauliche»<br />

Deutung des Hiob-Buches jedes tiefere Interesse daran genommen. Sonst<br />

hätte ich einen Trost darin gefunden, nämlich IX, 30 sq. «Wenn ich mich<br />

gleich mit Schneewasser wüsche... so wirst du mich doch tuncken in den<br />

Koth.»<br />

Meine Mutter erzählte mir später, ich sei in jener Zeit oft deprimiert<br />

gewesen. Das war ich nicht eigentlich; sondern ich war beschäftigt mit dem<br />

Geheimnis. Da war es eine merkwürdig selige Beruhigung, auf jenem Stein<br />

zu sitzen. Der h<strong>at</strong> mich <strong>von</strong> allen Zweifeln befreit. Wenn ich dachte, ich sei<br />

der Stein, hörten die Konflikte auf. «Der Stein h<strong>at</strong> keine Unsicherheit, h<strong>at</strong><br />

keinen Drang, sich mitzuteilen und ist ewig, lebt für die Jahrtausende», dachte<br />

ich. «Ich selber hingegen bin nur ein vorübergehendes Phänomen, das in allen<br />

möglichen Emotionen aufgeht, wie eine Flamme, die rasch auflodert und<br />

dann verlischt.» Ich war die Summe meiner Emotionen und ein Anderes in<br />

mir war der zeitlose Stein.<br />

II<br />

Damals kamen auch profunde Zweifel an allem, was mein V<strong>at</strong>er sagte.<br />

Wenn ich ihn über die Gnade predigen hörte, dachte ich immer an mein<br />

Erlebnis. Was er sagte, klang schal und hohl, wie wenn einer eine Geschichte<br />

erzählte, die er selber nicht ganz glauben kann oder nur vom Hörensagen<br />

kennt. Ich wollte ihm helfen, doch wußte ich nicht wie. Auch hielt mich eine<br />

Scheu zurück, ihm mein Erlebnis mitzuteilen oder mich in seine persönliche<br />

Präokkup<strong>at</strong>ion einzumischen. Dazu fühlte ich mich einerseits zu klein, und<br />

andererseits fürchtete ich mich davor, jenes Gefühl <strong>von</strong> Autorität, das mir<br />

meine «zweite Persönlichkeit» einflößte, zur Geltung zu bringen.<br />

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