30.12.2012 Aufrufe

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

gen schwer fallen mußte. Umso größer war meine Enttäuschung darüber, daß<br />

die Philosophen anscheinend nicht einmal da<strong>von</strong> wußten.<br />

Ich ging daher zum nächsten Artikel über, nämlich zu dem Abschnitt über<br />

den Teufel. Wenn man sich diesen, so hieß es, als ursprünglich böse dächte,<br />

so würde man sich in handgreifliche Widersprüche verwickeln, d. h. in einen<br />

Dualismus ger<strong>at</strong>en. Darum würde man besser daran tun, anzunehmen, daß der<br />

Teufel ursprünglich als gutes Wesen geschaffen und erst durch seinen Hochmut<br />

verdorben worden sei. Zu meiner großen Genugtuung wies aber der<br />

Autor darauf hin, daß diese Behauptung das Böse, das sie erklären wolle,<br />

schon voraussetze, nämlich den Hochmut. Im übrigen sei der Ursprung des<br />

Bösen «unerklärt und unerklärbar», was für mich hieß: er will, wie die<br />

Theologen, nicht darüber nachdenken. Der Artikel über das Böse und dessen<br />

Ursprung erwies sich als gleichermaßen unerleuchtend.<br />

Diese hier zusammenhängende Erzählung betrifft Entwicklungen, die, <strong>von</strong><br />

längeren Zwischenräumen unterbrochen, sich über einige Jahre erstreckten.<br />

Sie fanden ausschließlich in meiner Persönlichkeit Nr. 2 st<strong>at</strong>t und waren<br />

streng geheim. Ich benutzte die Bibliothek meines V<strong>at</strong>ers zu diesen Studien<br />

ungefragt und nur heimlicherweise. In den Zwischenzeiten las aber Nr. l offen<br />

sämtliche Gerstäckerromane, sowie deutsche Übersetzungen der klassischen<br />

englischen Romane. Eb enso begann ich deutsche Liter<strong>at</strong>ur zu lesen, in erster<br />

Linie die Klassiker, insofern sie mir durch die Schule mit ihren unnötig<br />

laboriösen Erklärungen <strong>von</strong> Selbstverständlichkeiten noch nicht verleidet<br />

waren. Ich las massenhaft und ohne Plan, Drama, Lyrik, Geschichte, und<br />

später n<strong>at</strong>urwissenschaftliche Werke. Die Lektüre war nicht nur interessant,<br />

sondern bot mir auch eine wohltuende Zerstreuung. Meine Beschäftigung als<br />

Nr. 2 verursachte mir nämlich in zunehmendem Maße Depressionen, da ich<br />

auf dem Gebiete der religiösen Fragen nur verschlossene Türen fand, und wo<br />

sich solche etwa zufällig öffneten, stieß ich auf Enttäuschungen. Die anderen<br />

Menschen schienen wirklich allesamt anderswo zu sein. Ich fühlte mich mit<br />

meinen Gewißheiten völlig allein. Ich hätte gern da<strong>von</strong> mit jemandem<br />

gesprochen, aber ich fand nirgends einen Anknüpfungspunkt -im Gegenteil,<br />

ich fühlte im anderen ein Befremden, ein Mißtrauen, ein Fürchten, mir<br />

entgegenzutreten, das mich der Sprache<br />

68

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!