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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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phernalien eines zoologischen Labor<strong>at</strong>oriums. Das war der Arbeitspl<strong>at</strong>z<br />

meines V<strong>at</strong>ers. Er war aber nicht da. An den Wänden standen auf Schäften<br />

hunderte <strong>von</strong> Gläsern mit allen erdenklichen Sorten <strong>von</strong> Fischen. Ich war<br />

erstaunt: «Jetzt beschäftigt sich mein V<strong>at</strong>er mit Ichthyologie!»<br />

Als ich da stand und mich umschaute, bemerkte ich einen Vorhang, der sich<br />

<strong>von</strong> Zeit zu Zeit aufbauschte, wie wenn ein starker Wind wehte. Plötzlich<br />

kam Hans, ein junger Mann vom Lande, und ich b<strong>at</strong> ihn, er möge nachsehen,<br />

ob im Raum hinter dem Vorhang ein Fenster offen stünde. Er ging hinüber,<br />

und als er nach einiger Zeit zurückkam, sah ich, daß er tief erschüttert war.<br />

Ein Ausdruck des Schreckens lag in seinen Zügen. Er sagte nur: «Ja, da ist<br />

etwas, da spukt es!»<br />

Dann ging ich selbst hinüber und fand eine Tür, die in den Raum meiner<br />

Mutter führte. Kein Mensch war dort. Die Atmosphäre war unheimlich. In<br />

dem sehr großen Zimmer waren an der Decke zwei Reihen <strong>von</strong> je fünf<br />

Kästen, etwa zwei Fuß über dem Boden aufgehängt. Sie sahen aus wie kleine<br />

Gartenhäuschen <strong>von</strong> etwa zweimal zwei Metern Bodenfläche, und in jedem<br />

standen zwei Betten. Ich wußte, daß an diesem Ort meine Mutter, die in<br />

Wirklichkeit schon längst gestorben war, besucht wurde, und daß sie<br />

hier Schlafgelegenheiten für Geister aufgeschlagen h<strong>at</strong>te. Es waren Geister,<br />

die paarweise kamen, sozusagen Geisterehepaare, die die Nacht oder auch den<br />

Tag dort zubrachten l4 .<br />

Gegenüber dem Raum meiner Mutter befand sich eine Tür. Ich öffnete sie<br />

und kam in eine riesige Halle; sie erinnerte an die Halle eines großen Hotels<br />

mit Fauteuils, Tischchen, Säulen und aller dazugehörenden Pracht. Eine laute<br />

Blechmusik spielte. Ich h<strong>at</strong>te sie schon die ganze Zeit im Hintergrund gehört,<br />

ohne jedoch zu wis sen, woher sie kam. Niemand befand sich in der Halle, nur<br />

die «brassband» schmetterte ihre Weisen, Tänze und Märsche.<br />

14 Dazu fielen mir die «Geisterfallen» ein, die ich in Kenya beobachtet h<strong>at</strong>te. Das<br />

sind kleine Häuschen, in denen die Leute kleine Betten aufstellen und auch etwas<br />

Proviant, «posho», dazulegen. Häufig liegt im Bett sogar das aus Lehm oder Ton<br />

hergestellte simulacrum eines Kranken, der geheilt werden soll. Ein oft kunstvoll mit<br />

kleinen Steinen gepflasterter Weg führt vom Fußpfad zu diesen Häuschen, damit die<br />

Geister dort einkehren und nicht im Kral, wo der Kranke liegt, den sie zu sich holen<br />

wollen. In der «Geisterfalle» verbringen die Geister dann die Nacht, um vor Tagesanbruch<br />

wieder in den Bambuswald, ihren eigentlichen Aufenthaltsort, zurückzukehren.<br />

C. G. J.<br />

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