30.12.2012 Aufrufe

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

zurückgedrängt. Das war die Voraussetzung, unter der ich mitarbeiten konnte.<br />

Ich sagte mir: «Freud ist viel gescheiter und erfahrener als du. Jetzt hörst du<br />

einfach auf das, was er sagt, und lernst <strong>von</strong> ihm.» Und dann träumte ich zu<br />

meinem Erstaunen <strong>von</strong> ihm als griesgrämigem Beamten der österreichischen<br />

k. k. Monarchie, als verstorbenem und noch «umgehendem» Zollinspektor.<br />

Sollte das der <strong>von</strong> Freud angedeutete Todeswunsch sein? Ich konnte niemanden<br />

in mir nachweisen, der einen derartigen Wunsch normalerweise hätte<br />

hegen können, denn ich wollte, sozusagen ä tout prix, kollaborieren und in<br />

ungescheut egoistischer Weise am Reichtum seiner Erfahrung teilnehmen,<br />

und an unserer Freundschaft lag mir viel. So h<strong>at</strong>te ich keinerlei Anlaß, ihn tot<br />

zu wünschen. ' Wohl aber konnte der Traum eine Korrektur sein, eine<br />

Kompens<strong>at</strong>ion meiner bewußten Schätzung und Bewunderung, die - mir unwillkommenerweise<br />

- offenbar zu weit ging. Der Traum empfahl eine etwas<br />

kritischere Einstellung. Ich war sehr bestürzt darüber, obwohl der Schlußs<strong>at</strong>z<br />

des Traumes mir eine Andeutung der Unsterblichkeit zu enthalten schien.<br />

Der Traum war mit der Episode vom Zollbeamten noch nicht zu Ende,<br />

sondern nach einem Hi<strong>at</strong>us folgte ein zweiter, bemerkenswerter Teil. Ich<br />

befand mich in einer italienischen Stadt, und es war um die Mittagsstunde,<br />

zwischen zwölf und ein Uhr. Eine heiße Sonne brannte auf die Gassen. Die<br />

Stadt war auf Hügel gebaut und erinnerte mich an eine bestimmte Stelle in<br />

Basel, den Kohlenberg. Die Gäßchen, die <strong>von</strong> dort ins Birsigtal, das sich<br />

durch die Stadt zieht, hinunterführen, sind zum Teil Treppengäß-chen. Eine<br />

solche Treppe ging hinunter zum Barfüßerpl<strong>at</strong>z. Es war Basel, und doch war<br />

es eine italienische Stadt, etwa wie Bergamo. Es war Sommer, die strahlende<br />

Sonne stand im Zenit, und alles war erfüllt <strong>von</strong> intensivem Licht. Viele<br />

Menschen kamen mir entgegen, und ich wußte, daß jetzt die Läden<br />

geschlossen wurden und die Leute zum Mittagessen heimstrebten. Mitten in<br />

diesem Menschenstrom ging ein Ritter in voller Rüstung. Er stieg die ^<br />

Treppe hinauf, mir entgegen. Er trug einen Topfhelm mit Augenschlitzen und<br />

einen Kettenpanzer. Darüber ein weißes Obergewand, auf dem vorne und auf<br />

dem Rücken ein großes rotes Kreuz eingewoben war.<br />

Sie können sich denken, was für einen Eindruck es auf mich machte,<br />

als plötzlich in einer modernen Stadt, mittags um die Stoßzeit des<br />

Verkehrs, ein Kreuzfahrer auf mich zukam! Vor allem<br />

168

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!