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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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und später wolle ich studieren. Während ich sprach, beschlich mich ein<br />

sonderbares Gefühl <strong>von</strong> «Schicksalhaftigkeit». - Sie ist, dachte ich mir,<br />

gerade in diesem Moment aufgetaucht; sie geht so n<strong>at</strong>ürlich neben mir her,<br />

wie wenn wir zusammengehörten. - Ich schaute sie seitwärts an und sah einen<br />

Ausdruck in ihrem Gesicht, etwas wie Scheu und wie Bewunderung, etwas,<br />

das mich verlegen machte und mich irgendwie traf. - Sollte es möglich sein,<br />

daß hier ein Schicksal droht? Ist es bloß zufällig, daß ich sie antreffe? Ein<br />

Bauernmädchen - sollte es möglich sein? Sie ist k<strong>at</strong>holisch, aber vielleicht ist<br />

ihr Pfarrer derselb e, mit dem sich mein V<strong>at</strong>er befreundet h<strong>at</strong>? Sie weiß ja gar<br />

nicht, wer ich bin. Ich könnte doch nicht <strong>von</strong> Schopenhauer und der<br />

Verneinung des Willens mit ihr reden? Sie scheint ja nicht irgendwie<br />

unheimlich zu sein. Vielleicht gehört ihr Pfarrer nicht zu den Jesuiten, diesen<br />

gefährlichen Schwarzröcken. Ich kann ihr auch nicht sagen, daß mein V<strong>at</strong>er<br />

ein reformierter Pfarrer ist. Das könnte sie erschrecken oder beleidigen. Und<br />

vollends die Philosophie und der Teufel, der bedeutender ist als Faust und den<br />

Goethe so schnöde versimpelt h<strong>at</strong> - das ist ausgeschlossen. Sie ist im fernen<br />

Unschuldslande, und ich bin in die Wirklichkeit, in die Pracht und<br />

Grausamkeit der Schöpfung gefallen. Wie könnte sie das ertragen ? Eine<br />

undurchdringliche Mauer steht zwischen uns. Es gibt keine und darf keine<br />

Verwandtschaft geben.<br />

Ich fiel mit Trauer im Herzen in mich selbst zurück und gab dem Gespräch<br />

eine andere Wendung. Ob sie nach Sachsein hinunter gehe? Das Wetter sei<br />

schön, ebenso die Aussicht usw.<br />

Dieses Zusammentreffen war <strong>von</strong> außen betrachtet völlig bedeutungslos.<br />

Aber <strong>von</strong> innen her h<strong>at</strong>te es ein so großes Gewicht, daß es mich nicht nur für<br />

Tage beschäftigte, sondern für immer und unverlierbar wie ein Monument am<br />

Wege in meinem Gedächtnis stehen blieb. Ich war damals noch in jenem<br />

kindlichen Zustand, in welchem das Leben aus unzusammenhängenden<br />

Einzelerlebnissen besteht. Denn wer vermöchte den Schicksalsfaden aufzudecken,<br />

der vom Hl. Klaus zu dem hübschen Mädchen führt?<br />

Jene Zeit war erfüllt vom Widerstreit der <strong>Gedanken</strong>. Schopenhauer und das<br />

Christentum einerseits wollten sich nicht reimen, und andererseits wollte sich<br />

Nr. l vom Druck oder der Melancholie <strong>von</strong> Nr. 2 befreien. Nicht Nr. 2 war<br />

deprimiert, sondern Nr. l, wenn er sich an Nr. 2 erinnerte. Es geschah nun<br />

eben zu dieser<br />

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