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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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nem Rücken war's wie eine Nebelwand, hinter der ich noch nicht war. Aber in<br />

jenem Augenblick geschah ich mir. Vorher war ich auch vorhanden, aber<br />

alles war nur geschehen. Jetzt wußte ich:<br />

jetzt bin ich, jetzt bin ich vorhanden. Vorher h<strong>at</strong> es mit mir getan, jetzt aber<br />

wollte ich. Dieses Erlebnis schien mir ungeheuer bedeutsam und neu. Es war<br />

«Autorität» in mir. Merkwürdigerweise h<strong>at</strong>te ich zu dieser Zeit und auch<br />

während der Mon<strong>at</strong>e meiner Unfallneurose die Erinnerung an den Sch<strong>at</strong>z im<br />

Estrich völlig verloren, sonst wäre mir wohl schon damals die Analogie<br />

meines Autoritätsgefühls mit jenem Wertgefühl, das der Sch<strong>at</strong>z mir einflößte,<br />

aufgefallen. Das war aber nicht der Fall, sondern jede Erinnerung an die<br />

Federschachtel war verschwunden.<br />

Damals war ich einmal <strong>von</strong> einer befreundeten Familie, die am<br />

Vierwaldstättersee ein Haus besaß, für die Ferien eingeladen worden. Zu<br />

meinem Entzücken lag das Haus am See und h<strong>at</strong>te ein Bootshaus und ein<br />

Ruderboot. Der Hausherr erlaubte seinem Sohn und mir, das Boot zu<br />

benützen, unter strenger Verwarnung, keine Unvorsichtigkeiten zu begehen.<br />

Unglücklicherweise wußte ich schon, wie man einen Weidling stachelt und<br />

rudert, nämlich stehend. Wir h<strong>at</strong>ten zuhause ein kleines gebrechliches Ding<br />

dieser Art auf dem alten Festungsgraben der Hüninger Ab<strong>at</strong>ucci-Schanze am<br />

badischen Ufer. Darin h<strong>at</strong>ten wir alle Unvorsichtigkeiten ausprobiert. Das<br />

erste, was ich also t<strong>at</strong>, war, daß ich auf das Heck des Bootes tr<strong>at</strong> und es mit<br />

einem Ruder freihändig in den See stieß. Das war dem Hausherrn zuviel. Er<br />

pfiff uns zurück und verabreichte mir eine Strafpredigt, die sich gewaschen<br />

h<strong>at</strong>te. Ich war sehr kleinlaut und mußte zugeben, daß ich gerade das getan,<br />

was er verboten h<strong>at</strong>te, und daß mithin seine Strafpredigt ganz am Pl<strong>at</strong>ze war.<br />

Gleichzeitig packte mich aber eine Wut, daß dieser dicke, ungebildete Klotz<br />

es wagen konnte, mich zu beleidigen. Dieses mich war nicht bloß erwachsen,<br />

sondern bedeutend, eine Autorität, eine Person in Amt und Würden, ein alter<br />

Mann, Gegenstand <strong>von</strong> Respekt und Ehrfurcht. - Der Gegens<strong>at</strong>z zur Wirklichkeit<br />

war dermaßen grotesk, daß ich plötzlich in meiner Wut innehielt,<br />

denn die Frage kam auf mich zu: «Ja, wer bist du denn? Du reagierst ja, wie<br />

wenn du der Teufel wer wärest! Und dabei weißt du doch, daß der andere<br />

ganz recht h<strong>at</strong>te! Du bist ja kaum zwölf Jahre alt, ein Schuljunge, und er ist<br />

doch ein V<strong>at</strong>er und dazu ein mächtiger und reicher Mann, der zwei Häuser<br />

und mehrere prachtvolle Pferde h<strong>at</strong>.»<br />

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