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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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wollte, was ich in meiner Vision mit ihm erlebt h<strong>at</strong>te. «Herrgott nochmal, er<br />

muß doch aufpassen, er kann doch nicht so unvorsichtig sein! Ich möchte mit<br />

ihm darüber reden, daß er etwas tut für sich!» Ich h<strong>at</strong>te die feste<br />

Überzeugung, er sei bedroht, weil er mir in seiner Urgestalt begegnet war.<br />

In der T<strong>at</strong> war ich sein letzter P<strong>at</strong>ient. Am 4. April 1944 - ich weiß das<br />

D<strong>at</strong>um noch genau - durfte ich zum ersten Mal auf dem Bettrand sitzen, und<br />

an diesem gleichen Tage legte er sich ins Bett und ist nicht mehr<br />

aufgestanden. Ich vernahm, daß er gelegentlich Fieberanfälle h<strong>at</strong>te. Bald<br />

darauf ist er an Septicaemie gestorben. Er war ein guter Arzt und h<strong>at</strong>te etwas<br />

Geniales. Sonst wäre er mir auch nicht als Fürst <strong>von</strong> Kos erschienen.<br />

In jenen Wochen lebte ich in einem seltsamen Rhythmus. Am Tage war ich<br />

meist deprimiert. Ich fühlte mich elend und schwach und wagte mich kaum zu<br />

rühren. Voll Betrübnis dachte ich: Jetzt muß ich wieder in diese graue Welt<br />

hinein. - Gegen Abend schlief ich ein, und mein Schlaf dauerte bis etwa<br />

gegen Mitternacht. Dann kam ich zu mir und war vielleicht eine Stunde lang<br />

wach, aber in einem ganz veränderten Zustand. Ich befand mich wie in einer<br />

Ekstase oder in einem Zustand größter Seligkeit. Ich fühlte mich, als ob ich<br />

im Raum schwebte, als ob ich im Schoß des Weltalls geborgen wäre - in einer<br />

ungeheuren Leere, aber erfüllt <strong>von</strong> höchstmöglichem Glücksgefühl. - Das ist<br />

die ewige Seligkeit, das kann man gar nicht beschreiben, es ist viel zu<br />

wunderbar! dachte ich.<br />

Auch die Umgebung schien verzaubert. Zu jener Nachtstunde wärmte mir<br />

die Pflegerin das Essen; denn nur dann konnte ich etwas zu mir nehmen und<br />

aß mit Appetit. Eine Zeitlang schien es mir, als sei sie eine alte Jüdin, viel<br />

älter, als sie in Wirklichkeit war, und als bereite sie mir rituelle, koschere<br />

Speisen. Wenn ich zu ihr hinblickte, war es, als habe sie einen blauen Halo<br />

um den Kopf. Ich selber befand mich - so schien es mir - im Pardes rimmonim,<br />

dem Gran<strong>at</strong>apfelgarten, und es fand die Hochzeit des Ti-fereth mit<br />

der Malchuth st<strong>at</strong>t 2 . Oder ich war wie der Rabbi Simon ben Jochai, dessen<br />

jenseitige Hochzeit gefeiert wurde. Es war die<br />

1 «Pardes rimmomm» ist der Titel eines kabbalistischen Trakt<strong>at</strong>es des Mose<br />

Cordovero aus dem 16. Jahrhundert. Malchuth und Tifereth sind nach kabbalistischer<br />

Auffassung zwei der zehn Sphären göttlicher Manifest<strong>at</strong>ionen, in denen Gott aus seiner<br />

Verborgenheit hervortritt. Sie stellen ein weibliches und ein männliches Prinzip<br />

innerhalb der Gottheit dar. A. J.<br />

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