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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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<strong>von</strong> seinem (vermutlich ungeheuren) Wissen verlauten ließ; ich war zu scheu,<br />

zu unbeholfen und viel zu unwissend, um ihn zu fragen. Er wurde aber <strong>von</strong><br />

mir verehrt als der erste leibhaftige Kenner der N<strong>at</strong>urgeheimnisse (oder<br />

wenigstens eines Teiles derselben), den meine Augen erblickten. Er saß an<br />

der gleichen Table d'hote, aß dieselben Speisen wie ich und wechselte sogar<br />

gelegentlich einige Worte mit mir. Ich fühlte mich in die höhere Sphäre der<br />

Erwachsenen entrückt. Daß ich auch an den Ausflügen der Pensionäre<br />

teilnehmen durfte, bestätigte meine Rangerhöhung. Bei ein er dieser<br />

Gelegenheiten besuchten wir eine Distillerie, wo wir zu einer Kostprobe<br />

eingeladen wurden. In wörtlicher Erfüllung des klassischen Wortes:<br />

Nun_aber_naht_sich_das_Malör, Denn_dies_Getränke_ist_Likör........ ... fand<br />

ich die verschiedenen Gläschen so begeisternd, daß ich mich in einen mir<br />

ganz neuen und unerwarteten Bewußtseinszustand versetzt fühlte: es gab kein<br />

Innen und Außen, kein Ich und die Anderen, kein Nr. l und Nr. 2, keine<br />

Vorsicht und Ängstlichkeit mehr. Die Erde und der Himmel, die Welt und<br />

alles, was darin «kreucht und fleucht», rotiert, aufsteigt oder herunterfällt, war<br />

einsgeworden. Ich war schamerfüllt und triumphbeglückt betrunken. Ich war<br />

wie in einem Meer seliger Nachdenklichkeit ertrunken und hielt mich infolge<br />

heftiger Meeresbewegung mit Augen, Händen und Füßen an allen soliden<br />

Gegenständen fest, um mein Gleichgewicht auf wogender Straße und<br />

zwischen sich neigenden Häusern und Bäumen zu wahren. Großartig, dachte<br />

ich, nur leider gerade etwas zu viel. - Das Erlebnis fand zwar ein etwas<br />

jammervolles Ende, blieb aber eine Entdeckung und Ahnung <strong>von</strong> Schönheit<br />

und Sinn, die ich nur infolge meiner Dummheit leider verdorben h<strong>at</strong>te.<br />

Am Ende meines Ferienaufenthaltes holte mich mein V<strong>at</strong>er ab und fuhr mit<br />

mir nach Luzern, wo wir - oh Glück - ein Dampfschiff bestiegen. Ich h<strong>at</strong>te<br />

noch nie etwas derartiges gesehen. Ich konnte mich an der Aktion der<br />

Dampfmaschine nicht s<strong>at</strong>t sehen, und plötzlich hieß es, man sei in Vitznau.<br />

Über der Ortschaft stand ein hoher Berg, und mein V<strong>at</strong>er erklärte mir, das sei<br />

nun die Rigi, und es führe eine Eisenbahn, nämlich eine Zahnradbahn, hinauf.<br />

Wir gingen zu einem kleinen St<strong>at</strong>ionsgebäude, und da stand die seltsamste<br />

Lokomotive der Welt mit aufrechtem, aber schiefgestelltem Dampfkessel. Im<br />

Wagen waren sogar die Sitze schief. Mein<br />

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