30.12.2012 Aufrufe

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

h<strong>at</strong>te mich mit allem Ernst vorbereitet und hoffte auf ein Erlebnis der Gnade<br />

und Erleuchtung, aber es war nichts geschehen. Gott blieb abwesend. Um<br />

Gottes willen fand ich mich <strong>von</strong> der Kirche und dem Glauben meines V<strong>at</strong>ers<br />

und aller anderen getrennt, insofern diese die christliche Religion vertr<strong>at</strong>en.<br />

Ich war aus der Kirche herausgefallen. Das erfüllte mich mit einer Trauer, die<br />

alle die Jahre bis zum Beginn meines Studiums übersch<strong>at</strong>ten sollte.<br />

III<br />

Ich begann in der rel<strong>at</strong>iv bescheidenen Bibliothek meines V<strong>at</strong>ers, welche<br />

mir damals aber beträchtlich vorkam, Bücher zu suchen, die mir sagen<br />

könnten, was man über Gott wußte. Ich fand zunächst nur die traditionellen<br />

Auffassungen, aber nicht, was ich suchte, nämlich einen Autor, der<br />

selbständig nachdachte, bis ich auf Biedermanns «Christliche Dogm<strong>at</strong>ik»<br />

vom Jahre 1869 stieß. Hier war anscheinend ein Mann, der selber<br />

nachgedacht und sich eigene Auffassungen zurechtgelegt h<strong>at</strong>te. Ich erfuhr,<br />

daß Religion «ein geistiger Akt der Selbstbeziehung des Menschen zu Gott»<br />

sei. Das erregte meinen Widerspruch, denn ich verstand Religion als etwas,<br />

was Gott mit mir tut; sie ist ein Akt Seinerseits, dem ich einfach ausgeliefert<br />

bin, denn Er ist der Stärkere. Meine «Religion» kannte eben keine<br />

menschliche Beziehung zu Gott, denn wie könnte man sich auf etwas<br />

beziehen, das man so wenig kannte wie Gott? Darum mußte ich mehr <strong>von</strong><br />

Gott wissen, um eine Beziehung zu Ihm zu finden.<br />

Im Kapitel «Das Wesen Gottes» fand ich, daß sich Gott selber als<br />

«Persönlichkeit» bezeuge, «vorstellbar nach der Analogie des menschlichen<br />

Ich, und zwar als das einzigartige, schlechthin überweltliche Ich, dessen die<br />

ganze Welt ist».<br />

Soweit ich die Bibel kannte, schien mir diese Definition zu stimmen. Gott<br />

h<strong>at</strong> Persönlichkeit und ist das Ich des Universums, so wie ich selber das Ich<br />

meiner seelischen und körperlichen Erscheinungsweise bin. Hier aber stieß<br />

ich auf ein mächtiges Hindernis:<br />

Persönlichkeit ist doch wohl ein Charakter. Charakter ist dieses und nicht ein<br />

anderes, d. h. er h<strong>at</strong> bestimmte Eigenschaften. Wenn aber Gott alles ist, wie<br />

kann Er dann noch einen unterscheidbaren Charakter besitzen? Besitzt Er aber<br />

einen Charakter, so kann Er nur das Ich einer subjektiven, beschränkten Welt<br />

sein. Und was<br />

62

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!