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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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drücke, die ich <strong>von</strong> diesem Wunderlande mitnehme, lassen sich mit der Feder<br />

nicht schildern. Alles reicht zu weit und ist 2u unabsehbar. Etwas, was mir in<br />

den letzten Tagen allmählich aufdämmerte, ist die Erkenntnis, daß hier ein<br />

Ideal der Lebensmöglichkeit Wirklichkeit geworden ist. Den Männern geht es<br />

hier so gut, wie es die Kultur überhaupt erlaubt, den Frauen schlecht. Wir<br />

haben hier Dinge gesehen, die zur größten Bewunderung hinreißen, und<br />

Dinge, die zum tiefsten Nachdenken über soziale Entwicklung auffordern.<br />

Wir sind, was technische Kultur anbelangt, meilenweit hinter Amerika<br />

zurück. Aber all das kostet entsetzlich viel und trägt schon den Keim des<br />

Endes in sich. Ich muß Dir viel, sehr viel erzählen. Die Erlebnisse dieser<br />

Reise werden mir unvergeßlich sein. Wir sind jetzt amerikamüde. Morgen<br />

früh geht's nach New York, und am 21. IX. geht's in die See!...<br />

Norddeutscher Lloyd Bremen Dampfer<br />

«Kaiser Wilhelm der Große»<br />

22. September 1909<br />

... Gestern schüttelte ich leichten Herzens den Staub Amerikas <strong>von</strong> meinen<br />

Sohlen mit einem Brummschädel, denn Y.'s haben mich mit wunderbarem<br />

Champagner bewirtet... Mit der Abstinenz bin ich punkto Glauben nun auf<br />

einen ganz wackeligen Boden geko mmen, so daß ich ehrenhafter Weise aus<br />

meinen Vereinen austrete. Ich bekenne mich als aufrichtigen Sünder und kann<br />

dann hoffentlich den Anblick eines Glases Wein ohne Emotion ausstehen,<br />

nämlich eines nicht getrunkenen. Das ist ja immer so, nur das Verbotene reizt.<br />

Ich glaube, ich darf mir nicht zu viel verbieten.<br />

Also gestern Morgen um 10 Uhr fuhren wir los, links die hochragenden<br />

weißlichen und rötlichen Himmelstürme <strong>von</strong> New York City, rechts die<br />

qualmenden Kamine, Docks usw. <strong>von</strong> Hoboken. Der Morgen war nebelig,<br />

bald entschwand New York, und nicht lange, so fingen die großen Dünungen<br />

des Meeres an. Beim Feuerschiff setzten wir den amerikanischen Lotsen aus<br />

und fuhren dann hinaus «in die traurige Wüste des Meeres». Es ist wie immer<br />

<strong>von</strong> kosmischer Großartigkeit und Einfachheit und zwingt zum Schweigen,<br />

denn was h<strong>at</strong> der Mensch hier zu sagen, vollends wenn der Ozean nächtlich<br />

allein ist mit dem gestirnten Himmel? Man sieht schweigend, auf alle<br />

Eigenmacht verzichtend, hinaus, und viele alte<br />

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