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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Herzen konnte ich nicht traurig sein und zwar aus einem seltsamen Grunde:<br />

während der ganzen Fahrt hörte ich unausgesetzt Tanzmusik, Lachen und<br />

freudigen Lärm, so als ob eine Hochzeit gefeiert würde. Dieses Erlebnis stand<br />

in krassem Gegens<strong>at</strong>z zu dem furchtbaren Eindruck des Traumes. Hier war<br />

heitere Tanzmusik, fröhliches Lachen, und es war mir unmöglich, mich ganz<br />

der Trauer hinzugeben. Immer wieder wollte sie mich überwältigen, aber im<br />

nächsten Augenblick war ich wieder inmitten der fröhlichen Melodien. Es<br />

war ein Gefühl <strong>von</strong> Wärme und Freude einerseits und <strong>von</strong> Schrecken und<br />

Trauer andererseits, ein unaufhörlicher Wechsel <strong>von</strong> Gefühlskontrasten.<br />

Der Gegens<strong>at</strong>z läßt sich dadurch erklären, daß der Tod einmal vom<br />

Gesichtspunkt des Ich und das andere Mal <strong>von</strong> dem der Seeleaus dargestellt<br />

wird. Im ersteren Fall erscheint er als K<strong>at</strong>astrophe, und es sieht so aus, wie<br />

wenn böse und mitleidlose Mächte einen Menschen erschlagen hätten.<br />

Der Tod ist ja auch eine furchtbare Brutalität - darüber darf man sich nicht<br />

täuschen - nicht nur als physisches Geschehen, sondern viel mehr noch als<br />

psychisches: ein Mensch wird weggerissen, und was bleibt, ist eisige<br />

Totenstille. Keine Hoffnung besteht mehr auf irgendeinen Zusammenhang,<br />

denn alle Brücken sind abgebrochen. Menschen, denen man ein langes Leben<br />

gewünscht hätte, werden mitten aus dem Leben dahingerafft, und Nichtsnutze<br />

erreichen ein hohes Alter. Das ist eine grausame Realität, die man sich nicht<br />

verhehlen sollte. Die Brutalität und Willkürlichkeit des Todes können die<br />

Menschen so verbittern, daß sie daraus schließen, es gäbe keinen<br />

barmherzigen Gott, keine Gerechtigkeit und keine Güte.<br />

Unter einem anderen Gesichtspunkt aber erscheint der Tod als ein freudiges<br />

Geschehen. Sub specie aeternit<strong>at</strong>is ist er eine Hochzeit, ein Mysterium<br />

Coniunctionis. Die Seele erreicht sozusagen die ihr fehlende Hälfte, sie<br />

erlangt Ganzheit. Auf griechischen Sarkophagen wurde das freudige Element<br />

durch Tänzerinnen dargestellt, auf etruskischen Gräbern durch Gastmähler.<br />

Als der fromme Kabbalist Rabbi Simon ben Jochai starb, sagten seine<br />

Freunde, er feiere Hochzeit. Noch heute ist es in manchen Gegenden Sitte, zu<br />

Allerseelen auf den Gräbern ein «Picnic» zu veranstalten. All das drückt die<br />

Empfindung aus, der Tod sei eigentlich ein Freudenfest.<br />

Bereits ein paar Mon<strong>at</strong>e vor dem Tode meiner Mutter, im September 1922,<br />

h<strong>at</strong>te ich einen Traum, der auf ihn hinwies. Er handelte <strong>von</strong> meinem V<strong>at</strong>er<br />

und beeindruckte mich sehr. Seit seinem<br />

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