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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Seele umfaßt unendlich viel mehr als den Gesichtskreis des ärztlichen<br />

Konsult<strong>at</strong>ionszimmers.<br />

Die Seele ist bedeutend komplizierter und unzugänglicher als der Körper.<br />

Sie ist sozusagen die eine Hälfte der Welt, die es nämlich nur insofern gibt,<br />

als man sich ihrer bewußt wird. Darum is t die Seele nicht nur ein<br />

persönliches, sondern ein Weltproblem, und der Psychi<strong>at</strong>er h<strong>at</strong> es mit einer<br />

ganzen Welt zu tun.<br />

Heute kann man es sehen wie nie zuvor: die Gefahr, die uns allen droht,<br />

kommt nicht <strong>von</strong> der N<strong>at</strong>ur, sondern vom Menschen, <strong>von</strong> der Seele des<br />

Einzelnen und der Vielen. Die psychische Alter<strong>at</strong>ion des Menschen ist die<br />

Gefahr! Alles hängt da<strong>von</strong> ab, ob unsere Psyche richtig funktioniert oder<br />

nicht. Wenn heutzutage gewisse Leute den Kopf verlieren, dann explodiert<br />

eine Wasserstoffbombe!<br />

Der Psychotherapeut muß aber nicht nur den P<strong>at</strong>ienten verstehen; ebenso<br />

wichtig ist es, daß er sich selbst versteht. Darum ist die conditio sine qua non<br />

der Ausbildung die eigene Analyse, die sogenannte Lehranalyse. Die<br />

Therapie des P<strong>at</strong>ienten beginnt sozusagen beim Arzt; nur wenn er es versteht,<br />

mit sich und seinen eigenen Problemen umzugehen, kann er das auch dem<br />

P<strong>at</strong>ienten beibringen. Aber nur dann. In der Lehranalyse muß der Arzt lernen,<br />

seine Seele zu erkennen und ernst zu nehmen. Wenn er das nicht kann, lernt<br />

es der P<strong>at</strong>ient auch nicht. Damit verliert er aber ein Stück seiner Seele, so wie<br />

auch der Arzt das Stück seiner Seele, das er nicht kennen lernte, verloren h<strong>at</strong>.<br />

Es genügt daher nicht, daß der Arzt sich in der Lehranalyse ein Begriffs -<br />

System aneignet. Als Ana-lysand muß er realisieren, daß die Analyse ihn<br />

selber angeht, daß sie ein Stück wirkliches Leben ist und keine Methode, die<br />

man auswendig (in wörtlichem Sinne!) lernen kann. Der Arzt oder Therapeut,<br />

der das in seiner Lehranalyse nicht begreift, wird später teuer dafür<br />

bezahlen müssen.<br />

Es gibt zwar auch die sogenannte «kleine Psychotherapie», aber in der<br />

eigentlichen Analyse ist der ganze Mensch in die Schranken gerufen, P<strong>at</strong>ient<br />

und Arzt. Es gibt viele Fälle, die man nicht heilen kann, ohne sich selber<br />

dranzugehen. Wenn es an die bedeutenden Dinge geht, ist es entscheidend, ob<br />

der Arzt sich selbst als einen Teil des Dramas begreift, oder ob er sich in<br />

seine Autorität hüllt. In den großen Krisen des Lebens, in den supremen<br />

Augenblicken, wo es sich um Sein oder Nicht-Sein handelt, da helfen die<br />

kleinen suggestiven Kunststücke nicht, da ist der Arzt mit seinem ganzen Sein<br />

herausgefordert.<br />

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