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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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ungewöhnliche Intuition sehr zust<strong>at</strong>ten kamen. Mit einiger Ironie sagte er<br />

wörtlich: «Was ich damals erlebte, war die plötzliche Einsicht, daß meine<br />

Sanskrit -Texte nicht nur gramm<strong>at</strong>ikalische und syntaktische Schwierigkeiten<br />

darboten, sondern daneben auch noch einen Sinn h<strong>at</strong>ten.»<br />

Wennschon dieser Ausspruch cum grano salis und als überspitzt zu<br />

verstehen ist, rechne ich dieses Geständnis Zimmer hoch an. Es ist <strong>von</strong><br />

ungewöhnlicher und erfrischender Ehrlichkeit, namentlich wenn man sich an<br />

jene dii minorum gentium erinnert, welche mit schlecht verhehltem<br />

Ressentiment einem versichern, dies alles auch schon längst gewußt zu haben.<br />

Leider h<strong>at</strong> Zimmers früher Tod ihm eine Reise nach Indien verunmöglicht.<br />

Ich habe mich oft gefragt, wie die unmittelbare Berührung<br />

Indiens wohl auf ihn gewirkt haben würde. Ich hätte bei seiner<br />

Aufgeschlossenheit und Aufnahmefähigkeit, bei seiner tiefen Kenntnis der<br />

indischen Liter<strong>at</strong>ur und seiner ungewöhnlichen Intuition Großes <strong>von</strong> ihm<br />

erwartet. St<strong>at</strong>tdessen haben die Manen ihn zu sich gerufen.<br />

Zimmer war seinem ganzen Wesen nach ein «puer aeternus», der, beflügelt<br />

<strong>von</strong> einer glanzvollen Sprache, alle Knospen der indischen Sagengärten zum<br />

Blühen brachte. Er teilte auch dessen Schicksal, denn «früh stirbt, wen die<br />

Götter lieben». Wilhelm starb zwar auch früh, ohne daß jedoch der Charakter<br />

des «puer aeternus» in dem Maße sichtbar geworden wäre wie bei Zimmer,<br />

<strong>von</strong> dem man das Gefühl h<strong>at</strong>te, er grüne und blühe in unerschöpflichem Überfluß.<br />

Ich vermute aber trotzdem, daß sich etwas Ähnliches bei Wilhelm in der<br />

Art und Weise verbarg, wie er China oder - besser -wie China ihn<br />

assimilierte. Zimmer sowie Wilhelm besaßen eine geniale Kindlichkeit. Beide<br />

schienen in der Realität wie in einer fremden Welt zu wandeln, während ihr<br />

Innerstes, unerschlossen und unberührt, der dunkeln Linie des Schicksals<br />

folgte.<br />

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