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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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sollen und sich die energetische Betrachtungsweise als allgemeines<br />

Erklärungsprinzip der N<strong>at</strong>urwissenschaften bewährt h<strong>at</strong>, so haben wir uns<br />

auch in der Psychologie auf sie zu beschränken. Es liegen auch keine sicheren<br />

T<strong>at</strong>sachen vor, die eine andere Auffassung als passender erscheinen ließen,<br />

und zudem h<strong>at</strong> sich die Gegensätzlichkeit oder Polarität der Psyche und ihrer<br />

Inhalte als ein wesentliches Ergebnis der psychologischen Empirie erwiesen.<br />

Wenn nun die energetische Auffassung der Psyche zu Recht besteht, sind<br />

Aussagen, welche die durch die Polarität gesetzte Grenze zu überschreiten<br />

suchen - also z. B. Aussagen über eine metaphysische Wirklichkeit - nur noch<br />

als Paradoxa möglich, wenn sie auf irgendwelche Gültigkeit Anspruch<br />

erheben sollten.<br />

Die Psyche kann nicht über sich selber hinausspringen, d. h. sie kann keine<br />

absoluten Wahrheiten st<strong>at</strong>uieren; denn die ihr eigene Polarität bedingt die<br />

Rel<strong>at</strong>ivität ihrer Aussage. Wo immer die Psyche absolute Wahrheiten<br />

proklamiert - also z. B. «das ewige Wesen ist Bewegung» oder «das ewige<br />

Wesen ist das Eine» - fällt sie no-lens volens in den einen oder anderen der<br />

Gegensätze. Es könnte ja ebensogut heißen: «Das ewige Wesen ist Ruhe»<br />

oder «das ewige Wesen ist das All». In ihrer Einseitigkeit zersetzt die Psyche<br />

sich selber und verliert die Fähigkeit zu erkennen. Sie wird zu einem<br />

unreflektierten (weil nicht reflektierbaren) Ablauf psychischer Zustände, <strong>von</strong><br />

denen jeder sich in sich selber begründet wähnt, weil er einen anderen nicht<br />

oder noch nicht sieht.<br />

Damit ist selbstverständlich keine Wertung ausgesprochen, sondern<br />

vielmehr die T<strong>at</strong>sache formuliert, daß sehr oft und sogar unvermeidlicherweise<br />

die Grenze überschritten wird, denn «Alles ist<br />

Übergang». Auf die Thesis folgt die Antithesis, und zwischen den beiden<br />

entsteht als Lysis ein Drittes, das zuvor nicht wahrn ehmbar war. Mit diesem<br />

Prozeß h<strong>at</strong> die Psyche nur wieder einmal mehr ihre Gegensätzlichkeit<br />

bekundet und ist nirgends wirklich über sich selber hinausger<strong>at</strong>en.<br />

Mit meiner Bemühung, die Begrenztheit der Psyche darzutun, meine ich<br />

nun eben gerade nicht, daß es nur Psyche gebe. Wir können bloß nicht über<br />

die Psyche hinaussehen, wo und insofern es sich um Wahrnehmung und<br />

Erkenntnis handelt. Da<strong>von</strong>, daß es ein nicht psychisches, transzendentes<br />

Objekt gibt, ist die N<strong>at</strong>urwissenschaft stillschweigend überzeugt. Sie weiß<br />

aber auch, wie schwierig es ist, die wirkliche N<strong>at</strong>ur des Objektes zu erkennen,<br />

namentlich dort, wo das Organ der Wahrnehmungen versagt oder gar fehlt,<br />

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