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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Nr. 2 meiner Mutter war sehr einverstanden mit meinem Enthusiasmus,<br />

aber meine weitere Umgebung war entmutigend. Bisher war ich nur gegen<br />

den Stein traditioneller Anschauungen geprallt; jetzt aber stieß ich auf den<br />

Stahl der Voreingenommenheit und einer positiven Unfähigkeit,<br />

unkonventionelle Möglichkeiten gelten zu lassen, und dies bei meinen<br />

nächsten Freunden. Ihnen erschien mein Interesse noch verdächtiger als<br />

meine Beschäftigung mit der Theologie! Ich h<strong>at</strong>te das Gefühl, an den Rand<br />

der Welt gestoßen zu sein. Was mich aufs brennendste interessierte, war den<br />

anderen Staub und Nebel, ja sogar Grund zur Ängstlichkeit.<br />

Angst wovor? Ich konnte keine Erklärung hiefür finden. Es war doch nicht<br />

unerhört oder welterschütternd, daß es vielleicht Ereignisse gab, welche die<br />

beschränkenden K<strong>at</strong>egorien <strong>von</strong> Zeit, Raum und Kausalität überschritten? Es<br />

gab ja sogar Tiere, die das Wetter und Erdbeben vorauswitterten, <strong>Träume</strong>, die<br />

den Tod bestimmter Personen anzeigten, Uhren, die im Moment des Todes<br />

stillstanden, Gläser, die im kritischen Augenblick zersprangen, lauter Dinge,<br />

die in meiner bisherigen Welt selbstverständlich waren. Und jetzt war ich<br />

scheinbar der Einzige, der je <strong>von</strong> solchen Dingen gehört h<strong>at</strong>te! Ich legte mir<br />

allen Ernstes die Frage vor, in was für eine Welt ich eigentlich ger<strong>at</strong>en sei. Es<br />

war offensichtlich die städtische Welt, die <strong>von</strong> der Landwelt, der wirklichen<br />

Welt der Berge, Wälder und Flüsse, der Tiere und der Gottesgedanken (lies:<br />

Pflanzen und Kristalle) nichts wußte. Ich fand diese Erklärung tröstlich, auf<br />

alle Fälle vermehrte sie zunächst mein Selbstgefühl; denn es wurde mir klar,<br />

daß die Stadtwelt trotz der Fülle ihres gelehrten Wissens geistig beschränkt<br />

war. Diese Einsicht wurde mir gefährlich, denn sie verführte mich zu<br />

Überlegenheitsanfällen und zu unangebrachter Kritiklust und Aggressivität,<br />

die mir verdiente Antip<strong>at</strong>hien eintrugen. Letztere brachten im weiteren<br />

Verlaufe wieder die alten Zweifel, Minderwertigkeitsgefühle und<br />

Depressionen zurück - ein Zyklus, den ich um jeden Preis zu unterbrechen<br />

mich entschloß. Ich wollte nicht mehr außerhalb der Welt stehen und den<br />

zweifelhaften Ruhm einer Kuriosität erwerben.<br />

Nach dem ersten Propädeuticum wurde ich Unterassistent auf der An<strong>at</strong>omie<br />

und im folgenden Semester überließ mir der Pro -sector sogar die Leitung des<br />

histologischen Kurses - n<strong>at</strong>ürlich zu meiner größten Genugtuung. Ich<br />

beschäftigte mich damals hauptsächlich mit Abstammungslehre und<br />

vergleichender An<strong>at</strong>omie und wurde auch mit der neovitalistischen Lehre<br />

bekannt. Am meisten<br />

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