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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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essen sollten wie Seinen Leib, der doch ursprünglich Fleisch war. Ebenso<br />

sollten wir den Wein trinken, der ursprünglich Blut war. Ich h<strong>at</strong>te verstanden,<br />

daß wir Ihn auf diese Weise uns einverleiben sollten. Dies kam mir jedoch als<br />

eine so offenkundige Unmöglichkeit vor, daß dahinter nur ein großes<br />

Geheimnis stecken konnte. In der Communion, <strong>von</strong> der mein V<strong>at</strong>er so viel zu<br />

halten schien, würde ich es erfahren. Wesentlich in dieser Erwartung bestand<br />

meine Vorbereitung aufs Abendmahl.<br />

Wie es Sitte war, h<strong>at</strong>te ich als P<strong>at</strong>en ein Mitglied der Kirchenpflege, einen<br />

mir symp<strong>at</strong>hischen alten, schweigsamen Mann, einen Wagner, in dessen<br />

Werkst<strong>at</strong>t ich oft seine geschickte Arbeit an der Drehbank und mit dem<br />

Zimmermannsbeil beobachtet h<strong>at</strong>te. Er kam, feierlich verwandelt durch<br />

Gehrock und Zylinder und brachte mich zur Kirche, wo mein V<strong>at</strong>er im<br />

wohlbekannten Orn<strong>at</strong>, hinter dem Altar stehend, Gebete aus der Liturgie<br />

vorlas. Auf dem Altartisch befanden sich große Pl<strong>at</strong>ten, auf denen kleine<br />

Brotstücke lagen. Das Brot stammte, wie ich sah, <strong>von</strong> dem Bäcker, der wenig<br />

gutes und fade schmeckendes Brot lieferte. Aus einer zinnernen Kanne wurde<br />

Wein in einen zinnernen Becher geschüttet. Mein V<strong>at</strong>er aß ein Stückchen<br />

Brot, trank einen Schluck Wein, <strong>von</strong> dem ich wußte, aus welchem Wirtshaus<br />

er vorher geholt worden war, und gab den Becher einem der alten Männer<br />

weiter. Alle waren steif, feierlich, teilnahmslos, wie mir schien. Ich schaute<br />

gespannt zu, konnte aber nicht sehen und err<strong>at</strong>en, ob etwas Besonderes in<br />

ihnen vorging. Es war wie bei allen kirchlichen Handlungen, bei Taufen,<br />

Begräbnissen usw. Ich h<strong>at</strong>te den Eindruck, daß hier etwas vorgenommen und<br />

in hergebracht richtiger Weise durchgeführt wurde. Auch mein V<strong>at</strong>er schien<br />

sich Mühe zu geben, die Sache vor allem der Regel entsprechend<br />

durchzuführen; und dazu gehörte auch, daß mit Betonung die passenden<br />

Worte gesprochen, beziehungsweise gelesen wurden. Es wurde nicht erwähnt,<br />

daß es nun 1860 Jahre her war, seit Jesus gestorben, was doch sonst bei allen<br />

Erinnerungsfeiern hervorgehoben wird. Ich sah keine Trauer und keine<br />

Freude, und für mein Gefühl erschien die Feier, in Anbetracht der<br />

außerordentlichen Bedeutung der gefeierten Persönlichkeit, in jeder Hinsicht<br />

erstaunlich mager. Sie hielt den Vergleich mit weltlichen Jubiläen keineswegs<br />

aus.<br />

Plötzlich kam die Reihe an mich. Ich aß das Brot; es schmeckte fad, wie<br />

erwartet. Der Wein, <strong>von</strong> dem ich nur den kleinsten Schluck nahm, war dünn<br />

und "säuerlich, offenbar nicht vom bessern. Dann<br />

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