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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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den beiden Türmen lag, sozusagen mich selber oder mein Ich darstellte.<br />

Damals erhöhte ich ihn durch ein oberes Stockwerk. Vorher wäre ich dazu<br />

nicht imstande gewesen; ich hätte es lediglich als eine vermessene<br />

Selbstbetonung angesehen. In Wahrheit drückt es aber die im Alter erlangte<br />

Überlegenheit des Ego, oder des Bewußtseins, aus. Damit war, ein Jahr nach<br />

dem Tod meiner Frau, das Ganze vollendet. Der Bau des ersten Turmes h<strong>at</strong>te<br />

1923, zwei Mon<strong>at</strong>e nach dem Tod meiner Mutter begonnen. Diese D<strong>at</strong>en sind<br />

sinnvoll, weil der Turm, wie wir sehen werden, mit den Toten verbunden ist.<br />

Von Anfang an wurde der Turm für mich zu einem Ort der Reifung - ein<br />

Mutterschoß, oder eine mütterliche Gestalt, in der ich wieder sein konnte,<br />

wie ich bin, war und sein werde. Der Turm gab mir das Gefühl, wie wenn ich<br />

in Stein wiedergeboren wäre. Er erschien mir als Verwirklichung des vorher<br />

Geahnten und als eine Darstellung der Individu<strong>at</strong>ion. Ein Erinnerungszeichen<br />

aere peren-nius. Das h<strong>at</strong> in wohltuender Weise auf mich gewirkt, wie ein Jasagen<br />

zu meinem Sosein. Ich baute das Haus in einzelnen Abschnitten und<br />

folgte immer nur den jeweiligen konkreten Bedürfnissen. Die inneren<br />

Zusammenhänge habe ich mir nie überlegt. Man könnte sagen, daß ich den<br />

Turm in einer Art Traum gebaut habe. Erst später sah ich, was entstanden<br />

war, und daß sich eine sinnvolle Gestalt ergeben h<strong>at</strong>te: ein Symbol der<br />

psychischen Ganzheit. Es h<strong>at</strong>te sich entwickelt, wie wenn ein alter Same<br />

aufgegangen wäre.<br />

In Bollingen bin ich in meinem eigentlichsten Wesen, in dem, was mir<br />

entspricht. Hier bin ich sozusagen der «uralte Sohn der Mutter». So heißt es<br />

sehr weise in der Alchemie, denn der «alte Mann», der «Uralte», den ich<br />

schon als Kind erfahren h<strong>at</strong>te, ist die Persönlichkeit Nr. 2, die schon immer<br />

gelebt h<strong>at</strong> und leben wird. Sie steht außerhalb der Zeit und ist Sohn des<br />

mütterlichen Unbewußten. In meinen Phantasien nahm der «Uralte» die<br />

Gestalt des Philemon an, und in Bollingen ist er lebendig.<br />

Zuzeiten bin ich wie ausgebreitet in die Landschaft und in die Dinge und<br />

lebe selber in jedem Baum, im Plätschern der Wellen, in den Wolken, den<br />

Tieren, die kommen und gehen, und in den Dingen. Es gibt nichts im Turm,<br />

das nicht im Laufe der Jahrzehnte geworden und gewachsen ist und mit dem<br />

ich nicht verbunden bin. Alles h<strong>at</strong> seine und meine Geschichte, und hier ist<br />

Raum für das raumlose Reich des Hintergrunds.<br />

Ich habe auf Elektrizität verzichtet und heize selber Herd und<br />

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