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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Alchemie die Kontinuität <strong>von</strong> der Vergangenheit zur Gegenwart hergestellt<br />

ist. Als eine N<strong>at</strong>urphilosophie des Mittelalters schlug sie eine Brücke sowohl<br />

in die Vergangenheit, nämlich zum Gnostizis -mus, als auch in die Zukunft,<br />

zur modernen Psychologie des Unbewußten.<br />

Die Psychologie des Unbewußten war <strong>von</strong> Freud mit den klassischen<br />

gnostischen Motiven der Sexualität einerseits und der bösen V<strong>at</strong>erautorität<br />

andererseits eingeführt worden. Das Motiv des gnostischen Jahwe und<br />

Schöpfergottes erschien aufs neue in Freuds Mythus vom Urv<strong>at</strong>er und dem<br />

<strong>von</strong> diesem V<strong>at</strong>er abstammenden düsteren Über-Ich. jn Freuds Mythus<br />

offenbarte er sich als ein Dä-mon, der eine Welt <strong>von</strong> Enttäuschungen,<br />

Illusionen und Leid hervorgebracht h<strong>at</strong>. Aber die Entwicklung zum<br />

M<strong>at</strong>erialismus, die schon in der Beschäftigung der Alchemie mit dem<br />

Geheimnis des Stoffes vorgezeichnet war, h<strong>at</strong>te dazu geführt, Freud den<br />

Ausblick auf einen weiteren wesentlichen Aspekt des Gnostizismus zu ver-<br />

wehren, nämlich auf das Urbild des Geistes als eines anderen, höheren Gottes.<br />

Laut gnostischer Tradition war es dieser höhere Gott, der den Kr<strong>at</strong>er<br />

(Mischgefäß), das Gefäß geistiger Wandlung, den Menschen zuhilfe gesandt<br />

h<strong>at</strong>te*. Der Kr<strong>at</strong>er ist ein weibliches Prinzip, das in der p<strong>at</strong>riarchalischen Welt<br />

Freuds keinen Pl<strong>at</strong>z gefunden h<strong>at</strong>. Mit diesem Präjudiz steht Freud allerdings<br />

nicht allein. In der k<strong>at</strong>holischen Geisteswelt h<strong>at</strong> nach jahrhundertelangem Zö-<br />

gern erst kürzlich die Gottesmutter und Braut Christi Aufnahme im göttlichen<br />

Thalamus und damit wenigstens eine approxim<strong>at</strong>ive Anerkennung erfahren 2 .<br />

In der protestantischen und jüdischen Welt herrscht nach wie vor der V<strong>at</strong>er.<br />

Im Gegens<strong>at</strong>z dazu h<strong>at</strong> in der hermetischen Philosophie der Alchemie das<br />

weibliche Prinzip eine hervorragende und dem männlichen ebenbürtige Rolle<br />

gespielt. Eines der wichtigsten weiblichen Symbole in der Alchemie<br />

* Der Kr<strong>at</strong>er bedeutete in den Schriften des Poimandres, der einer heid-nisch-gnosti<br />

sehen Sekte angehörte, ein Gefäß, das mit Geist gefüllt, vom Schöpfergott zur Erde<br />

gesandt wurde, damit diejenigen, die nach höherer Bewußtheit strebten, sich darin<br />

taufen lassen konnten. Er war eine Art Uterus der geistigen Erneuerung und<br />

Wiedergeburt. A. J.<br />

* Hier spielte <strong>Jung</strong> auf die päpstliche Bulle <strong>von</strong> Pius XII. an, welche das Dogma der<br />

Assumptio Mariae verkündete (1950). Es heißt darin, daß Maria als die Braut mit dem<br />

Sohn und als Sophia mit der Gottheit im himmlischen Brautgemach (thalamus)<br />

vereinigt worden sei. Dadurch wurde das Prinzip des Weiblichen in nächste Nähe der<br />

männlichen Trinität gerückt. «Antwort auf Hiob», in Ges. Werke XI, 2. Aufl. 1973,<br />

pag. 492 ä.<br />

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