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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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über, aber das bildet man sich höchstens ein. Im Grunde genommen weiß man<br />

nie, wie alles gekommen ist. Die Geschichte eines Lebens fängt irgendwo an,<br />

an irgendeinem Punkt, den man gerade eben erinnert, und schon da war es<br />

hochkompliziert. Was das Leben wird, weiß man nicht. Darum h<strong>at</strong> die<br />

Geschichte keinen Anfang, und das Ziel ist nur ungefähr anzugeben.<br />

Das Leben des Menschen ist ein fragwürdiger Versuch. Es ist nur<br />

zahlenmäßig eine ungeheure Erscheinung. Es ist so flüchtig, so ungenügend,<br />

daß es geradezu ein Wunder ist, wenn etwas existieren und sich entfalten<br />

kann. Das h<strong>at</strong> mich als jungen Medizinstudenten schon beeindruckt, und es<br />

schien mir wie ein Wunder, wenn ich nicht vor der Zeit zerstört werden sollte.<br />

Das Leben ist mir immer wie eine Pflanze vorgekommen, die aus ihrem<br />

Rhizom lebt. Ihr eigentliches Leben ist nicht sichtbar, es steckt im Rhizom.<br />

Das, was über dem Boden sichtbar wird, hält nur einen Sommer. Dann<br />

verwelkt es - eine ephemere Erscheinung. Wenn man an das endlose Werden<br />

und Vergehen des Lebens und der Kulturen denkt, erhält man den Eindruck<br />

absoluter Nichtigkeit;<br />

aber ich habe nie das Gefühl verloren für etwas, das unter dem ewigen<br />

Wechsel lebt und dauert. Was man sieht, ist die Blüte, und die vergeht. Das<br />

Rhizom dauert.<br />

Im Grunde genommen sind mir nur die Ereignisse meines Lebens<br />

erzählenswert, bei denen die unvergängliche Welt in die vergängliche<br />

einbrach. Darum spreche ich hauptsächlich <strong>von</strong> den inneren Erlebnissen. .Zu<br />

ihnen gehören meine <strong>Träume</strong> und Imagin<strong>at</strong>ionen. Sie bilden zugleich den<br />

Urstoff meiner wissenschaftlichen Arbeit. Sie waren wie feurig-flüssiger<br />

Basalt, aus welchem sich der zu bearbeitende Stein auskristallisiert.<br />

Neben den inneren Ereignissen verblassen die anderen <strong>Erinnerungen</strong>,<br />

Reisen, Menschen und Umgebung. Zeitgeschichte haben viele erlebt und<br />

darüber geschrieben; man kann es besser bei ihnen nachlesen oder sich da<strong>von</strong><br />

erzählen lassen. Die Erinnerung an die äußeren Fakten meines Lebens ist mir<br />

zum größten Teil verblaßt oder entschwunden. Aber die Begegnungen mit<br />

der anderen Wirklichkeit, der Zusammenprall mit dem Unbewußten haben<br />

sich meinem Gedächtnis unverlierbar eingegraben. Da war immer Fülle und<br />

Reichtum, und alles andere tr<strong>at</strong> dahinter zurück.<br />

So wurden mir auch Menschen zu unverlierbaren <strong>Erinnerungen</strong> nur<br />

vermöge des Umstandes, daß im Buche meines Schicksals ihr<br />

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