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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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kam er als das Allerunbekannteste vor. Mir schien es, als ob man eigentlich<br />

täglich den Willen Gottes erforschen müsse. Ich t<strong>at</strong> es zwar nicht, aber es war<br />

mir sicher, daß ich es tun würde, sobald sich ein dringender Anlaß dazu<br />

präsentierte. Nr. l nahm mich zu oft und zu viel in Anspruch. Es schien mir<br />

oft, als ob man die religiösen Vorschriften sogar an Stelle des Gotteswillens,<br />

der ja so unerwartet und erschreckend sein konnte, setzte, und zwar zu dem<br />

Zweck, den Gotteswillen nicht verstehen zu müssen. Ich wurde immer<br />

skeptischer, und die Predigten meines V<strong>at</strong>ers und anderer Pfarrer wurden mir<br />

peinlich. Alle Menschen meiner Umgebung schienen den Jargon und die<br />

dichte Dunkelheit, die er ausstrahlte, als selbstverständlich zu empfinden und<br />

gedankenlos alle Wider-Sprüche zu schlucken, wie z. B. daß Gott allwissend<br />

sei und n<strong>at</strong>ürlich die Menschheitsgeschichte vorausgesehen habe. Er h<strong>at</strong> die<br />

Menschen so geschaffen, daß sie sündigen mußten, und trotzdem verbietet Er<br />

die Sünde und bestraft sie sogar mit ewiger Verdammnis in der Feuerhölle.<br />

Der Teufel spielte lange Zeit keine Rolle in meinen <strong>Gedanken</strong>. Er erschien<br />

mir als der böse Hofhund eines mächtigen Mannes. Niemand h<strong>at</strong>te die<br />

Verantwortung für die Welt als Gott, und Er war, wie ich nur zu gut wußte,<br />

auch furchtbar. Es wurde mir zunehmend fragwürdiger und unheimlicher,<br />

wenn der «liebe Gott», die Liebe Gottes zum Menschen und die des<br />

Menschen zu Gott in den gefühlvollen Predigten meines V<strong>at</strong>ers angepriesen<br />

und anempfohlen wurden. Der Zweifel wurde wach in mir: Weiß er<br />

eigentlich, wo<strong>von</strong> er spricht? Könnte er mich, seinen Sohn, als<br />

Menschenopfer abstechen lassen wie Isaak oder einem ungerechten<br />

Gerichtshof ausliefern, der ihn kreuzigen ließe wie Jesum? Nein, das könnte<br />

er nicht. Also könnte er gegebenenfalls den Willen Gottes, der, wie die Bibel<br />

selber zeigt, schlechthin furchtbar sein kann, nicht erfüllen. - Es wurde mir<br />

klar, daß wenn unter anderm gemahnt wurde, Gott mehr zu gehorchen als den<br />

Menschen, das nur so obenhin und gedankenlos gesagt wurde. Man kannte<br />

offenbar den Willen Gottes ganz und gar nicht, denn sonst würde man dieses<br />

zentrale Problem mit heiliger Scheu behandeln, schon aus reiner Furcht vor<br />

dem Gott, der übermächtig Seinen erschreckenden Willen beim hilflosen<br />

Menschen durchsetzen kann, wie es mir geschehen war. Hätte jemand, der<br />

den Willen Gottes zu kennen vorgibt, voraussehen können, zu was Er mich<br />

veranlaßt h<strong>at</strong>te? Im Neuen Testament stand jedenfalls nichts dergleichen. Das<br />

Alte<br />

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