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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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kam das Schlußgebet, und alle gingen hinaus, nicht bedrückt und nicht<br />

erfreut, sondern mit Gesichtern, die sagten: «So, das wär's jetzt.»<br />

Ich ging mit meinem V<strong>at</strong>er nach Hause, intensiv bewußt, daß ich einen<br />

neuen schwarzen Filzhut und einen neuen schwarzen Anzug trug, der sich<br />

schon anschickte, zu einem Gehrock zu werden. Es war eine Art verlängerter<br />

Jacke, die nach hinten unten sich in zwei Flügelchen erweiterte, und zwischen<br />

ihnen war ein Schlitz mit einer Tasche, in die man das Nastuch versorgen<br />

konnte, was mir als eine männliche erwachsene Geste vorkam. Ich fühlte<br />

mich sozial gehoben und andeutungsweise in die Gemeinschaft der Männer<br />

aufgenommen; auch gab es heute ein besonders gutes Mittagessen. Ich würde<br />

den ganzen Tag im neuen Gewand herumspazieren. Sonst war ich leer und<br />

wußte überhaupt nicht, wie ich mich fühlte.<br />

Nur allmählich, im Laufe der folgenden Tage, dämmerte es mir:<br />

es h<strong>at</strong> sich nichts ereignet, ich bin zwar auf dem Gipfel der religiösen<br />

Einführung gewesen, wo ich etwas erwartet h<strong>at</strong>te - ich wußte nicht was. Es<br />

war aber nichts geschehen. Ich wußte, daß Gott mir unerhörte Dinge antun<br />

konnte, Dinge <strong>von</strong> Feuer und <strong>von</strong> überirdischem Licht, aber diese Feier<br />

enthielt, für mich wenigstens, keine Spur <strong>von</strong> Gott. Es war zwar die Rede <strong>von</strong><br />

Ihm, aber es waren nur Wörter. Auch bei den anderen h<strong>at</strong>te ich nichts <strong>von</strong> fas -<br />

sungsloser Verzweiflung, <strong>von</strong> übermächtiger Ergriffenheit und strömender<br />

Gnade, die für mich das Wesen Gottes ausmachten, wahrgenommen. Ich h<strong>at</strong>te<br />

nichts <strong>von</strong> «communio» bemerkt, nichts <strong>von</strong> Vereinigung, oder Einswerden.<br />

Einswerden mit wem? Mit Jesus? Er war doch ein Mensch, der vor 1860<br />

Jahren gestorben war. Warum soll man mit ihm einswerden? Er wird<br />

«Gottessohn» genannt, war also anscheinend ein Halbgott, wie die<br />

griechischen Heroen - wie kann dann ein gewöhnlicher Mensch mit ihm einswerden?<br />

Man nennt das «Christliche Religion», aber das h<strong>at</strong> ja alles mit Gott,<br />

wie ich Ihn erfahren h<strong>at</strong>te, nichts zu tun. Es ist hingegen ganz klar, daß Jesus,<br />

der Mann, mit Gott zu tun h<strong>at</strong>te;<br />

er war verzweifelt in Gethsemane und am Kreuz, nachdem er die Liebe und<br />

Güte Gottes als eines guten V<strong>at</strong>ers gelehrt h<strong>at</strong>te. Dann h<strong>at</strong>te er aber auch die<br />

Furchtbarkeit Gottes gesehen. Das konnte ich verstehen. Aber wozu dann<br />

diese ärmliche Erinnerungsfeier mit diesem Brot und diesem Wein? Es wurde<br />

mir langsam klar, daß das Abendmahl für mich ein f<strong>at</strong>ales Erlebnis gewesen<br />

war. Es war<br />

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