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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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nämlich sehr viel. Auf dem Wege zum Hause, wo die Einladung st<strong>at</strong>tfand,<br />

fühlte ich mich wichtig und würdig, wie immer, wenn ich an einem Werktag<br />

meine Sonntagskleider trug. Das Bild änderte sich aber beträchtlich, sobald<br />

ich in Sichtweite des fremden Hauses kam. Da übersch<strong>at</strong>tete mich der<br />

Eindruck der Größe und Macht dieser Leute. Ich fürchtete mich vor ihnen und<br />

hätte in meiner Kleinheit vierzehn Klafter tief in die Erde versinken mögen,<br />

wenn ich die Glocke läutete. Das Geläute, das innen ertönte, klang in meinen<br />

Ohren wie ein Verhängnis. Ich fühlte mich so kleinmütig und so ängstlich wie<br />

ein zugelaufener Hund. Das war jeweils am schlimmsten, wenn meine Mutter<br />

mich vorher «richtig» präpariert h<strong>at</strong>te. «Meine Schuhe sind dreckig, auch<br />

meine Hände. Ich habe kein Taschentuch, mein Hals ist schwarz», tönte es in<br />

meinen Ohren. - Dann richtete ich aus Trotz keine Empfehlungen aus oder<br />

benahm mich unnötigerweise bockig und scheu. Wenn es gar zu schlimm<br />

wurde, dachte ich an den geheimen Sch<strong>at</strong>z im Estrich, der mir dann half,<br />

meine Menschenwürde wiederzufinden: ich erinnerte mich nämlich in meiner<br />

Verlorenheit, daß ich ja auch der Andere war - der mit dem unverletzlichen<br />

Geheimnis, dem Stein und dem kleinen Mann mit Gehrock und Zylinder.<br />

Ich kann mich nicht daran erinnern, daß ich in meiner Jugend je an die<br />

Möglichkeit eines Zusammenhanges des «her Jesus», beziehungsweise des<br />

Jesuiten mit dem schwarzen Rock, der Männer im Gehrock und Zylinder an<br />

einem Grab, des grabähnlichen Loches in der Wiese und des unterirdischen<br />

Phallustempels mit dem Männchen in der Federschachtel dachte. Der Traum<br />

vo6m ithyphallischen Gotte war mein erstes großes Geheimnis, das<br />

Männchen war das zweite. Heute scheint es mir aber, als ob ich ein vages<br />

Gefühl der Verwandtschaft zwischen dem «Seelenstein» mit dem Stein, der<br />

auch «Ich» war, empfunden hätte.<br />

Es ist mir bis heute, wo ich in meinem dreiundachtzigsten Lebensjahre<br />

meine <strong>Erinnerungen</strong> aufschreibe, nie ganz klar geworden, welchen<br />

Zusammenhang meine frühesten <strong>Erinnerungen</strong> haben:<br />

sie sind wie die einzelnen Schosse eines unterirdischen, zusammenhängenden<br />

Rhizoms. Sie sind wie die St<strong>at</strong>ionen eines unbewußten Entwicklungsganges.<br />

Während es mir immer unmöglicher wurde, ein positives Verhältnis zu dem<br />

«her Jesus» zu finden, erinnere ich mich, daß etwa vom elften Jahr an die<br />

Gottesidee anfing, mich zu interessieren. Ich fing an, zu Gott zu beten, was<br />

mich irgendwie befriedigte, weil es mir widerspruchslos schien. Gott war<br />

nicht<br />

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