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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Bizet berauschte und überwältigte mich wie mit den Wogen eines<br />

unendlichen Meeres, und als mich am anderen Tag der Zug über die Grenze<br />

hinaus in eine weitere Welt trug, begleiteten mich die Melodien der Carmen.<br />

In München sah ich zum ersten Mal wirklich Antike, und diese im Verein mit<br />

Bizets Musik erzeugte in mir eine Atmosphäre, deren Tiefe und<br />

Bedeutungsschwere ich nur ahnen, aber nicht erfassen konnte. Es war eine<br />

frühlingshafte, hochzeitliche Stimmung, äußerlich aber eine trübe Woche<br />

zwischen dem l. und 9. Dezember 1900. In Stuttgart sah ich (zum letzten Mal)<br />

meine Tante, Frau Dr. Reimer-<strong>Jung</strong>. Sie war die Tochter aus der ersten Ehe<br />

meines Großv<strong>at</strong>ers, des Professors C. G. <strong>Jung</strong> mit Virginie de Lassauix. Sie<br />

war eine bezaubernde alte Dame mit funkelnden blauen Augen und einem<br />

sprühenden Temperament. Ihr Mann war Psychi<strong>at</strong>er. Sie schien mir<br />

umflossen <strong>von</strong> einer Welt ungreifbarer Phantasien und nicht heimzuweisender<br />

<strong>Erinnerungen</strong> -der letzte Hauch einer verschwindenden, nicht<br />

wiederzubringenden Vorwelt - ein endgültiger Abschied <strong>von</strong> der Nostalgie<br />

meiner Kindheit.<br />

Am 10. Dezember 1900 tr<strong>at</strong> ich meine Assistentenstelle im Burg -hölzli an.<br />

Ich ging gern nach Zürich, denn im Laufe der Jahre war mir Basel zu eng<br />

geworden. Für die Basler gab es nur ihre Stadt: nur in Basel war es «richtig»,<br />

und jenseits der Birs fing das «Elend» an. Meine Freunde konnten nicht<br />

verstehen, daß ich wegging, und rechneten damit, daß ich binnen kurzem<br />

zurückkehren würde. Aber das war mir nicht möglich; denn in Basel war ich<br />

ein für alle Mal abgestempelt als Sohn des Pfarrers Paul <strong>Jung</strong> und Enkel<br />

meines Großv<strong>at</strong>ers, des Professors Carl Gustav <strong>Jung</strong>. Ich gehörte sozusagen<br />

zu einer gewissen geistigen Gruppe und in einen bestimmten sozialen «set».<br />

Dagegen empfand ich Widerstände, denn ich wollte und konnte mich nicht<br />

festlegen lassen.<br />

In geistiger Beziehung schien mir die Atmosphäre in Basel unübertrefflich<br />

und <strong>von</strong> einer beneidenswerten Weltoffenheit, aber der Druck der Tradition<br />

war mir zu viel. Als ich nach Zürich kam, empfand ich den Unterschied sehr<br />

stark. Die Beziehung <strong>von</strong> Zürich zur Welt ist nicht der Geist, sondern der<br />

Handel. Aber hier war die Luft frei, und das habe ich sehr geschätzt. Hier<br />

spürte man nirgends den braunen Dunst der Jahrhunderte, wenn man auch den<br />

reichen Hintergrund der Kultur vermißte. Für Basel habe ich heute noch<br />

immer ein schmerzliches faible, obwohl ich weiß, daß es<br />

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