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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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in den Gliedern und bewog mich, im Hause zu bleiben. Und wenn ich später<br />

wieder auf der Straße spielte, so war mir doch der Waldrand ein Gegenstand<br />

unruhiger Aufmerksamkeit. Später wurde es mir n<strong>at</strong>ürlich klar, daß die<br />

schwarze Figur ein sehr harmloser k<strong>at</strong>holischer Priester gewesen war.<br />

Ungefähr zur selben Zeit — ich könnte nicht einmal mit absoluter<br />

Sicherheit sagen, ob es nicht vor dem eben erwähnten Ereignis war — erlebte<br />

ich meinen ersten Traum, an den ich mich erinnern kann, und der mich<br />

sozusagen mein Leben lang beschäftigen sollte. Ich war damals drei oder vier<br />

Jahre alt.<br />

Das Pfarrhaus steht allein beim Schloß Laufen, und hinter dem Hof des<br />

Meßmers liegt eine große Wiese. Im Traum stand ich auf dieser Wiese. Dort<br />

entdeckte ich plötzlich ein dunkles, rechteckiges, ausgemauertes Loch in der<br />

Erde. Ich h<strong>at</strong>te es noch nie zuvor gesehen. Neugierig tr<strong>at</strong> ich näher und blickte<br />

hinunter. Da sah ich eine Steintreppe, die in die Tiefe führte. Zögernd und<br />

furchtsam stieg ich hinunter. Unten befand sich eine Türe mit Rundbogen,<br />

durch einen grünen Vorhang abgeschlossen. Der Vorhang war groß und<br />

schwer, wie aus gewirktem Stoff oder aus Brok<strong>at</strong>, und es fiel mir auf, daß er<br />

sehr reich aussah. Neugierig, was sich dahinter wohl verbergen möge, schob<br />

ich ihn beiseite und erblickte einen zirka zehn Meter langen rechteckigen<br />

Raum in dämmerigem Lichte. Die gewölbte Decke bestand aus Steinen, und<br />

auch der Boden war mit Steinfliesen bedeckt. In der Mitte lief ein roter<br />

Teppich vom Eingang bis zu einer niedrigen Estrade. Auf dieser stand ein<br />

wunderbar reicher goldener Thronsessel. Ich bin nicht sicher, aber vielleicht<br />

lag ein rotes Polster darauf. Der Sessel war prachtvoll, wie im Märchen, ein<br />

richtiger Königssessel! Darauf stand nun etwas. Es war ein riesiges Gebilde,<br />

das fast bis an die Decke reichte. Zuerst meinte ich, es sei ein hoher<br />

Baumstamm. Der Durchmesser betrug etwa fünfzig bis sechzig Zentimeter<br />

und die Höhe etwa vier bis fünf Meter. Das Gebilde war aber <strong>von</strong><br />

merkwürdiger Beschaffenheit: es bestand aus Haut und lebendigem Fleisch,<br />

und obendrauf war eine Art rundkegelförmigen Kopfes ohne Gesicht und<br />

ohne Haare; nur ganz oben auf dem Scheitel befand sich ein einziges Auge,<br />

das unbewegt nach oben blickte.<br />

Im Raum war es rel<strong>at</strong>iv hell, obschon er keine Fenster und kein Licht h<strong>at</strong>te.<br />

Es herrschte aber über dem Kopf eine gewisse Helligkeit. Das Ding bewegte<br />

sich nicht, jedoch h<strong>at</strong>te ich das Gefühl, als ob es jeden Augenblick wurmartig<br />

<strong>von</strong> seinem Throne herunter-<br />

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