30.12.2012 Aufrufe

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Sinne, zu vertreten. Es war mir aber auch noch nicht gelungen, meine<br />

Einwände so herauszuarbeiten, daß er sie hätte würdigen können, und ich<br />

h<strong>at</strong>te zu großen Respekt vor ihm, als daß ich ihn zu einer endgültigen<br />

Auseinandersetzung hätte auffordern mögen. Der Gedanke, daß ich sozusagen<br />

über meinen Kopf hinweg mit einer Parteiführung belastet werden sollte, war<br />

mir aus vielerlei Gründen unangenehm. Etwas Derartiges lag mir nicht. Ich<br />

konnte meine geistige Unabhängigkeit nicht opfern, und dieser Zuwachs an<br />

Prestige war mir zuwider, weil er für mich nichts bedeutete als eine<br />

Ablenkung <strong>von</strong> meinen wirklichen Zielen. Es ging mir um die Erforschung<br />

der Wahrheit und nicht um persönliche Prestigefragen.<br />

Unsere Reise nach den USA, die wir 1909 <strong>von</strong> Bremen aus antr<strong>at</strong>en,<br />

dauerte sieben Wochen. Wir waren täglich zusammen und analysierten unsere<br />

<strong>Träume</strong>. Ich h<strong>at</strong>te damals einige wichtige <strong>Träume</strong>, mit denen Freud aber<br />

nichts anfangen konnte. Daraus machte ich ihm keinen Vorwurf, denn es kann<br />

dem besten Analytiker geschehen, daß er das Rätsel eines Traumes nicht zu<br />

lösen vermag. Das war ein menschliches Versagen und hätte mich nie<br />

veranlaßt, unsere Traumanalysen abzubrechen. Im Gegenteil, es lag mir sehr<br />

viel daran, und unsere Beziehung war mir überaus wertvoll. Ich empfand<br />

Freud als die ältere, reifere und erfahrenere Persönlichkeit und mich wie einen<br />

Sohn. Doch damals geschah etwas, das der Beziehung einen schweren Stoß<br />

versetzte.<br />

Freud h<strong>at</strong>te einen Traum, über dessen Problem zu berichten ich nicht<br />

befugt bin. Ich deutete ihn, so gut ich konnte, fügte aber hinzu, daß sich sehr<br />

viel mehr sagen ließe, wenn er mir noch einige Details aus seinem Priv<strong>at</strong>leben<br />

mitteilen wollte. Auf diese Worte hin sah mich Freud merkwürdig an - sein<br />

Blick war voll Mißtrauen - und sagte: «Ich kann doch meine Autorität nicht<br />

riskieren!» In diesem Augenblick h<strong>at</strong>te er sie verloren. Dieser S<strong>at</strong>z h<strong>at</strong> sich<br />

mir ins Gedächtnis gegraben. In ihm lag für mich das Ende unserer Beziehung<br />

bereits beschlossen. Freud stellte persönliche Autorität über Wahrheit.<br />

Freud konnte, wie ich schon sagte, meine damaligen <strong>Träume</strong> nur<br />

unvollständig oder gar nicht deuten. Es handelte sich um <strong>Träume</strong> kollektiven<br />

Inhalts mit einer Fülle <strong>von</strong> symbolischem M<strong>at</strong>erial. Besonders einer war mir<br />

wichtig, denn er brachte mich zum ersten Mal auf den Begriff des<br />

«kollektiven Unbewußten» und bildete<br />

162

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!