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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Einfluß der weiteren Welt, in der ich andere Leute als meine Eltern kennen<br />

lernte, erschien mir zweifelhaft, wenn nicht überhaupt verdächtig, und in<br />

dunkler Weise feindselig. In zunehmendem Maße nahm ich die Schönheit der<br />

hellen Tageswelt wahr, wo «goldenes Sonnenlicht durch grüne Blätter spielt».<br />

Gleich daneben aber ahnte ich eine unabweisbare Sch<strong>at</strong>tenwelt mit<br />

beängstigenden unbeantwortbaren Fragen, denen ich mich ausgeliefert fühlte.<br />

Mein Nachtgebet gab mir zwar einen rituellen Schutz, indem es den Tag richtig<br />

abschloß und ebenso richtig die Nacht und den Schlaf einleitete. Die neue<br />

Gefahr aber lauerte am Tage. Es war, wie wenn ich eine Entzweiung meiner<br />

selbst fühlte und befürchtete. Meine innere Sicherheit war bedroht.<br />

Ich erinnere mich, daß ich in dieser Zeit (siebentes bis neuntes Jahr) gern<br />

mit Feuer spielte. In unserem Garten stand eine alte Mauer aus großen<br />

Steinblöcken, deren Zwischenräume interessante Höhlen bildeten. In diesen<br />

pflegte ich ein kleines Feuer zu unterhalten, wobei mir andere Kinder halfen<br />

— ein Feuer, das «immer» brennen und darum stets unterhalten werden<br />

mußte. Dazu bedurfte es unserer vereinten Anstrengungen, die im Sammeln<br />

des nötigen Holzes bestanden. Niemand anderer durfte dieses Feuer besorgen<br />

als ich. Die anderen konnten in anderen Höhlen andere Feuer anzünden, aber<br />

diese Feuer waren profan und gingen mich nichts an. Mein Feuer allein war<br />

lebendig und h<strong>at</strong>te einen unverkennbaren Beigeschmack <strong>von</strong> Heiligkeit. Das<br />

war damals für lange Zeit mein beliebtestes Spiel.<br />

Vor dieser Mauer zog sich ein Abhang entlang, in welchem ein Stein<br />

eingebettet lag, der etwas hervorragte - mein Stein, öfters, wenn ich allein<br />

war, setzte ich mich auf ihn, und dann begann ein <strong>Gedanken</strong>spiel, das etwa so<br />

lautete: «Ich sitze auf diesem Stein. Ich bin oben und er ist unten.» — Der<br />

Stein könnte aber auch sagen: «Ich» und denken: «Ich liege hier, auf diesem<br />

Hang, und er sitzt auf mir.» — Dann erhebt sich die Frage: «Bin ich der, der<br />

auf dem Stein sitzt, oder bin ich der Stein, auf dem er sitzt?» — Diese Frage<br />

verwirrte mich jeweils, und ich erhob mich, zweifelnd an mir selber und<br />

darüber grübelnd, wer jetzt was sei. Das blieb unklar, und meine Unsicherheit<br />

war begleitet vom Gefühl einer merkwürdigen und faszinierenden Dunkelheit.<br />

Unzweifelhaft war aber die T<strong>at</strong>sache, daß dieser Stein in geheimer Beziehung<br />

zu mir stand. Ich konnte stundenlang auf ihm sitzen und war gebannt <strong>von</strong> dem<br />

Rätsel, das er mir aufgab.<br />

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