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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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zu unternehmen, weil er in allen ihm angebotenen Hüllen, Formen, Gehegen,<br />

Lebensweisen, Atmosphären die ihm nötige nicht findet. Er wird allein gehen<br />

und seine ihm eigene Gesellschaft darstellen. Er wird seine eigene Vielheit<br />

sein, welche aus vielerlei Meinungen und Tendenzen besteht. Diese gehen<br />

aber nicht notwendigerweise in derselben Richtung. Er wird im Gegenteil mit<br />

sich selber im Zweifel sein und große Schwierigkeiten darin finden, sein<br />

eigenes Vielerlei 2u gemeinsamer Aktion zusammenzubringen. Auch wenn er<br />

äußerlich durch die sozialen Formen der Zwischenstufe geschützt ist, so<br />

besitzt er damit noch keinen Schutz gegen das innere Vielerlei, das ihn mit<br />

sich selber veruneint und ihn dem Abweg in die Identität mit der äußeren<br />

Welt überantwortet.<br />

Wie sich der Eingeweihte mit dem Geheimnis seiner Gesellschaft diesen<br />

Abweg in eine undifferenzierte Kollektivität verlegt, so bedarf auch der<br />

Einzelne auf seinem einsamen Pfade eines Geheimnisses, das man aus<br />

irgendwelchen Gründen nicht preisgeben darf oder kann. Ein derartiges<br />

Geheimnis zwingt ihn zur Isolierung in seinem individuellen Vorhaben. Sehr<br />

viele Individuen können diese Isolierung nicht ertragen. Sie sind die<br />

Neurotiker, welche notgedrungen Versteck mit den anderen sowohl wie mit<br />

sich selber spielen, ohne das eine oder andere wirklich ernst nehmen zu kön -<br />

nen. Sie opfern in der Regel ihr individuelles Ziel ihrem Bedürfnis nach<br />

kollektiver Angleichung, wozu sie alle Meinungen, Überzeugungen und<br />

Ideale der Umgebung aufmuntern. Gegen letztere gibt es zudem keine<br />

vernünftigen Argumente. Allein ein Geheimnis, das man nicht verr<strong>at</strong>en kann,<br />

d. h. ein solches, das man fürchtet, oder das man nicht in beschreibende<br />

Worte zu fassen vermag (und das darum anscheinend in die K<strong>at</strong>egorie des<br />

«Verrückten» gehört), kann den sonst unvermeidlichen Rückschritt<br />

verhindern.<br />

Das Bedürfnis nach einem derartigen Geheimnis ist in vielen Fällen<br />

dermaßen groß, daß <strong>Gedanken</strong> und Handlungen erzeugt werden, die man<br />

nicht mehr verantworten kann. Dahinter steht öfters keine Willkür und kein<br />

Übermut, sondern eine dem Individuum unerklärliche dira necessitas, die den<br />

Menschen mit ruchloser Schicksalshaftigkeit anfällt und ihm vielleicht zum<br />

ersten Mal in seinem Leben das Vorhandensein <strong>von</strong> Stärkerem und Fremdem<br />

in seiner eigensten Domäne, wo er Herr zu sein wähnte, ad oculos<br />

demonstriert.<br />

Ein anschauliches Beispiel ist die Geschichte <strong>von</strong> Jakob, der mit dem<br />

Engel rang, eine ausgerenkte Hüfte da<strong>von</strong>trug, aber eben da-<br />

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