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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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ich annahm, es müsse eine psychische Störung bei mir vorliegen. Zweimal<br />

ging ich darum mein ganzes Leben mit allen Einzelheiten durch, insbesondere<br />

die Kindheitserinnerungen; denn ich dachte, es läge vielleicht etwas in meiner<br />

Vergangenheit, das als Ursache der Störung in Betracht kommen könnte.<br />

Aber die Rückschau war ergebnislos, und ich mußte mir meine Unwissenheit<br />

eingestehen. Da sagte ich mir: «Ich weiß so gar nichts, daß ich jetzt einfach<br />

das tue, was mir einfällt.» Damit überließ ich mich bewußt den Impulsen des<br />

Unbewußten.<br />

Als erstes tauchte eine Erinnerung aus der Kindheit auf, vielleicht aus dem<br />

zehnten oder elften Jahr. Damals h<strong>at</strong>te ich leidenschaftlich mit Bausteinen<br />

gespielt. Ich erinnerte mich deutlich, wie ich Häuschen und Schlösser gebaut<br />

und Tore mit Bögen über Flaschen gewölbt h<strong>at</strong>te. Etwas später verwendete<br />

ich n<strong>at</strong>ürliche Steine und Lehm als Mörtel. Diese Bauten h<strong>at</strong>ten mich<br />

während langer Zeit fasziniert. Zu meinem Erstaunen tauchte diese<br />

Erinnerung auf, begleitet <strong>von</strong> einer gewissen Emotion.<br />

«Aha», sagte ich mir, «hier ist Leben! Der kleine <strong>Jung</strong>e ist noch da und<br />

besitzt ein schöpferisches Leben, das mir fehlt. Aber wie kann ich dazu<br />

gelangen?» Es schien mir unmöglich, die Distanz zwischen der Gegenwart,<br />

dem erwachsenen Mann, und meinem elften Jahr zu überbrücken. Wollte ich<br />

aber den Kontakt mit jener Zeit wieder herstellen, so blieb mir nichts anderes<br />

übrig, als wieder dorthin zurückzukehren und das Kind mit seinen kindlichen<br />

Spielen auf gut Glück wieder aufzunehmen.<br />

Dieser Augenblick war ein Wendepunkt in meinem Schicksal, denn nach<br />

unendlichem Widerstreben ergab ich mich schließlich darein zu spielen. Es<br />

ging nicht ohne äußerste Resign<strong>at</strong>ion und nicht ohne das schmerzhafte<br />

Erlebnis der Demütigung, nichts anderes wirklich tun zu können als zu<br />

spielen.<br />

So machte ich mich daran, passende Steine zu sammeln, teils am Ufer des<br />

Sees, teils im Wasser, und dann begann ich zu bauen:<br />

Häuschen, ein Schloß - ein ganzes Dorf. Es fehlte noch die Kirche, und so<br />

machte ich einen quadr<strong>at</strong>ischen Bau mit einer sechseckigen Trommel darauf<br />

und einer quadr<strong>at</strong>ischen Kuppel. Zu einer Kirche gehört auch ein Altar. Aber<br />

ich scheute mich, ihn zu bauen.<br />

Mit der Frage beschäftigt, wie ich diese Aufgabe lösen könnte, ging ich<br />

eines Tages wie gewöhnlich am See entlang und sammelte Steine im<br />

Uferkies. Plötzlich erblickte ich einen roten Stein: eine vierseitige Pyramide,<br />

etwa 4 cm hoch. Es war ein Steinsplitter, der<br />

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