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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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mern läßt, so die Psyche. Wie das Bewußtsein entwicklungsgeschichtlich in<br />

einem uns als unbewußt geltenden tierähnlichen Zustand begann, so<br />

wiederholt jedes Kind diese Differenzierung. Die Psyche des Kindes in ihrem<br />

vorbewußten Zustand ist nichts weniger als tabula rasa; sie ist allbereits<br />

erkennbar individuell praefor-miert und darüber hinaus mit allen spezifisch<br />

menschlichen Instinkten ausgerüstet, so auch mit den apriorischen<br />

Grundlagen höherer Funktionen.<br />

Auf dieser komplizierten Basis entsteht das Ich und wird <strong>von</strong> ihr durch das<br />

ganze Leben getragen. Wo die Grundlage nicht funktioniert, entsteht Leerlauf<br />

und Tod. Ihr Leben und ihre Wirklichkeit sind <strong>von</strong> vitaler Bedeutung. Ihr<br />

gegenüber ist sogar die Außenwelt <strong>von</strong> sekundärer Bedeutung, denn was soll<br />

sie, wenn mir der endogene Antrieb fehlt, mich ihrer zu bemächtigen? Kein<br />

bewußter Wille wird je auf die Dauer den Lebenstrieb ersetzen. Dieser Trieb<br />

tritt uns <strong>von</strong> innen her als ein Muß oder Wille oder Befehl entgegen, und<br />

wenn wir ihn, wie das sozusagen <strong>von</strong> jeher geschehen ist, mit dem Namen<br />

eines persönlichen Daimonions bezeichnen, so haben wir die psychologische<br />

Sachlage wenigstens treffend ausgedrückt. Und wenn wir gar versuchen, den<br />

Ort, wo uns das Daimo -nion anfaßt, durch den Begriff des Archetypus näher<br />

zu umschreiben, so haben wir nichts weggeräumt, sondern nur uns selber der<br />

Lebensquelle näher gerückt.<br />

Es ist nichts als n<strong>at</strong>ürlich, daß mir als Psychi<strong>at</strong>er (was «Seelenarzt»<br />

bedeutet) eine derartige Auffassung naheliegt, denn es interessiert mich in<br />

erster Linie, wie ich meinen Kranken helfen kann, wieder ihre gesunde Basis<br />

zu finden. Dazu ist, wie ich erfahren habe, vielerlei Kenntnis nötig! Der<br />

Medizin im allgemeinen ist es ja auch nicht anders gegangen. Sie h<strong>at</strong> ihre<br />

Fortschritte nicht dadurch gemacht, daß sie endlich den Trick des Heilens<br />

herausgefunden und dadurch ihre Methoden verblüffend vereinfacht h<strong>at</strong>. Sie<br />

ist im Gegenteil in eine unübersehbare Kompliziertheit hineingewachsen,<br />

nicht zum mindesten dadurch, daß sie Anleihen auf allen möglichen Gebieten<br />

aufgenommen h<strong>at</strong>. So liegt es auch mir keineswegs daran, anderen<br />

Disziplinen etwas beweisen zu wollen, sondern ich versuche bloß, ihre<br />

Kenntnisse für mein Gebiet nutzbar zu machen. N<strong>at</strong>ürlich liegt es mir ob,<br />

über diese Verwendung und ihre Folgen Bericht zu erst<strong>at</strong>ten. Man macht<br />

nämlich Entdeckungen, wenn man Erkenntnisse des einen Gebietes zu<br />

praktischer Verwendung in ein anderes überträgt. Was wäre alles verborgen<br />

geblieben, wenn man<br />

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