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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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und h<strong>at</strong>te dank der Lektüre der alten Philosophen eine gewisse Kenntnis der<br />

Psychologiegeschichte erworben. Wenn ich über <strong>Träume</strong> und Inhalte des<br />

Unbewußten nachdachte, geschah es nie ohne historischen Vergleich; in<br />

meiner Studienzeit h<strong>at</strong>te ich mich dazu jeweils des alten Krugschen Lexikons<br />

der Philosophie bedient. Ich kannte vor allem die Autoren des 18., sowie<br />

diejenigen des angehenden 19. Jahrhunderts. Diese Welt bildete die<br />

Atmosphäre meines Wohnzimmers im ersten Stock. Demgegenüber h<strong>at</strong>te ich<br />

bei Freud den Eindruck, als ob seine «Geistesgeschichte» bei Büchner,<br />

Moleschott, Dubois -Reymond und Darwin begänne.<br />

Zu meiner geschilderten Bewußtseinslage fügte der Traum nunmehr<br />

weitere Bewußtseinsschichten hinzu: das längst nicht mehr bewohnte<br />

Erdgeschoß im mittelalterlichen Stil, dann den römischen Keller und<br />

schließlich die praehistorische Höhle. Sie stellen verflossene Zeiten und<br />

überlebte Bewußtseinsstufen dar.<br />

Viele Fragen h<strong>at</strong>ten mich an den Vortagen des Traumes brennend<br />

beschäftigt: Auf welchen Prämissen beruht die Freudsche Psychologie? Zu<br />

welcher K<strong>at</strong>egorie des menschlichen Denkens gehört sie? In welchem<br />

Verhältnis steht ihr fast ausschließlicher Personalismus zu den allgemeinen<br />

historischen Voraussetzungen? Mein Traum gab die Antwort. Er ging<br />

offenbar zurück bis in die Grundlagen der Kulturgeschichte, einer Geschichte<br />

aufeinander folgender Bewußtseinslagen. Er stellte etwas wie ein<br />

Strukturdiagramm der menschlichen Seele dar, eine Voraussetzung durchaus<br />

unpersönlicher N<strong>at</strong>ur. Diese Idee schlug ein, «it clicked», wie der Engländer<br />

sagt; und der Traum wurde mir zu einem Leitbild, das sich in der Folgezeit in<br />

einem mir unbekannten Maße bestätigte. Er gab mir die erste Ahnung eines<br />

kollektiven a priori der persönlichen Psyche, das ich zunächst als Spuren<br />

früherer Funktionsweisen auffaßte. Erst später, bei vermehrter Erfahrung und<br />

zuverlässigerem Wissen erkannte ich die Funktionsweisen als<br />

Instinktformen, als Archetypen.<br />

Ich habe Freud nie recht geben können, daß der Traum eine «Fassade» sei,<br />

hinter der sich sein Sinn verstecke; ein Sinn, der schon gewußt ist, aber<br />

sozusagen boshafterweise dem Bewußtsein vorenthalten werde. Für mich<br />

sind <strong>Träume</strong> N<strong>at</strong>ur, der keine Täuschungsabsicht innewohnt, sondern die<br />

etwas aussagt, so gut sie eben kann - wie eine Pflanze, die wächst, oder ein<br />

Tier, das seine Nahrung sucht, so gut sie es eben können. So wollen auch die<br />

Augen nicht täuschen, aber vielleicht täuschen wir uns,weil die<br />

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