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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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sahen wohlwollend und würdig genug aus, um meine Idee <strong>von</strong> ihrer<br />

möglichen Schuld zu entmutigen. Ich durchflog die lange Reihe unbekannter<br />

Ahnen, um schließlich bei Adam und Eva anzulangen. Und damit kam der<br />

entscheidende Gedanke: Adam und Eva sind die ersten Menschen; sie h<strong>at</strong>ten<br />

keine Eltern, sondern sind <strong>von</strong> Gott direkt und absichtlich so geschaffen<br />

worden, wie sie waren. Sie h<strong>at</strong>ten keine Wahl, sondern mußten so sein, wie<br />

sie Gott geschaffen h<strong>at</strong>te. Sie wußten ja gar nicht, wie sie hätten anders sein<br />

können. Sie waren vollkommene Geschöpfe Gottes, denn Er schafft nur<br />

Vollkommenes, und doch haben sie die erste Sünde begangen, weil sie t<strong>at</strong>en,<br />

was Gott nicht wollte. Wieso war das möglich? Sie hätten es gar nicht tun<br />

können, wenn Gott die Möglichkeit nicht in sie gelegt hätte. Das geht ja auch<br />

hervor aus der Schlange, die Gott schon vor ihnen geschaffen h<strong>at</strong>te, offenbar<br />

zu dem Zwecke, daß sie Adam und Eva überreden sollte. Gott in Seiner<br />

Allwissenheit h<strong>at</strong> alles so angeordnet, daß die ersten Eltern die Sünde begehen<br />

mußten. Es war also die Absicht Gottes, daß sie sündigen mußten.<br />

Dieser Gedanke befreite mich auf der Stelle <strong>von</strong> meiner ärgsten Qual, denn<br />

ich wußte nun, daß Gott selber mich in diesen Zustand gebracht h<strong>at</strong>te. Ich<br />

wußte zunächst nicht, ob Er damit meinte, ich solle die Sünde begehen oder<br />

eben gerade nicht. Ich dachte nicht mehr ans Beten um Erleuchtung, denn<br />

Gott h<strong>at</strong>te mich ohne meinen Willen in diese Situ<strong>at</strong>ion gebracht und mich<br />

ohne Beistand darin gelassen. Ich war sicher, daß ich nach Seiner Meinung<br />

selber und allein den Ausweg suchen mußte. Damit hob ein weiteres Argument<br />

an:<br />

«Was will Gott? Das Tun oder das Nichttun? Ich muß herausfinden, was<br />

Gott will und zwar jetzt und mit mir.» Ich wußte zwar, daß es nach der<br />

hergebrachten Moral ganz selbstverständlich war, die Sünde zu vermeiden.<br />

Das h<strong>at</strong>te ich eben bis jetzt getan und wußte, daß ich es nicht weiter tun<br />

konnte. Mein gestörter Schlaf und meine seelische Not h<strong>at</strong>ten mich so<br />

heruntergebracht, daß mein Nichtdenkenwollen zu einem unerträglichen<br />

Krampf wurde. Das konnte so nicht weitergehen. Ich konnte aber unmöglich<br />

nachgeben, bevor ich verstand, was Gottes Wille war und was Er bezweckte.<br />

Ich war nämlich dessen sicher, daß Er der Urheber dieser verzweifelten<br />

Schwierigkeit war. Merkwürdigerweise dachte ich nicht einen Moment, daß<br />

mir der Teufel einen Streich spielen könnte. Er spielte in meiner damaligen<br />

Geistesverfassung eine geringe Rolle und war<br />

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