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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Späte <strong>Gedanken</strong><br />

Zur biographischen Verdeutlichung meiner selbst sind die Ausführungen<br />

dieses Kapitels unerläßlich, obschon sie dem Leser wohl theoretisch<br />

erscheinen mögen. Diese «Theorie» ist aber eine meinem Leben zugehörige<br />

Existenzform, sie stellt eine Lebensweise dar, die mir so nötig ist wie Essen<br />

und Trinken.<br />

I<br />

Das Bemerkenswerte am Christentum ist die T<strong>at</strong>sache, daß es in seiner<br />

Dogm<strong>at</strong>ik einen Veränderungsprozeß in der Gottheit antizipiert, also eine<br />

historische Wandlung auf der «anderen Seite». Dies geschieht in der Form<br />

des neuen Mythus <strong>von</strong> einer Spaltung im Himmel, erstmals angedeutet im<br />

Schöpfungsmythus, wo ein schlangenartiger Widersacher des Schöpfers<br />

auftritt, der die ersten Menschen zum Ungehorsam verführt, mit dem<br />

Versprechen vermehrter Bewußtheit (scientes bonum et malum). Die zweite<br />

Andeutung ist der Engelsturz, eine «überstürzte» Invasion der Menschenwelt<br />

durch unbewußte Inhalte. Die Engel sind ein sonderbares Genus. Sie sind<br />

gerade das , was sie sind und können nichts anderes sein: an sich seelenlose<br />

Wesen, die nichts anderes darstellen als die <strong>Gedanken</strong> und Intuitionen ihres<br />

Meisters. Im Falle des Engelsturzes handelt es sich also um ausschließlich<br />

«böse» Engel. Sie lösen die bekannte Wirkung der Infl<strong>at</strong>ion aus, die wir auch<br />

heute im Dikt<strong>at</strong>orenwahn beobachten können: die Engel erzeugen mit den<br />

Menschen ein Riesengeschlecht, das schließlich auch die Menschen<br />

aufzufressen sich anschickt, wie im Buch Henoch berichtet wird.<br />

Die dritte und entscheidende Stufe des Mythus aber ist die<br />

Selbstverwirklichung Gottes in menschlicher Gestalt, in Erfüllung der<br />

alttestamentlichen Idee der Gottesehe und ihrer Folge. In der christlichen<br />

Urzeit schon h<strong>at</strong> sich die Inkarn<strong>at</strong>ionsidee zu der Anschauung des «Christus<br />

in nobis» gesteigert. Damit drang die unbewußte Ganzheit in den<br />

psychischen Bereich der inneren Erfahrung<br />

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