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Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung - Mahs.at

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Da fiel mir zu meiner größten Verwirrung ein, daß ich eigentlich und in<br />

Wirklichkeit zwei verschiedene Personen war. Die eine war der Schuljunge,<br />

der die M<strong>at</strong>hem<strong>at</strong>ik nicht begreifen konnte und nicht einmal seiner selbst<br />

sicher war, die andere war bedeutend, <strong>von</strong> großer Autorität, ein Mann, der<br />

nicht mit sich spassen ließ, mächtiger und einflußreicher als dieser Fabrikant.<br />

Er war ein alter Mann, der im 18. Jahrhundert lebt und Schnallenschuhe trägt<br />

und eine weiße Perücke und in einer Kalesche fährt mit hohen, konkaven<br />

Hinterrädern, zwischen denen der Kutschenkasten an Federn und<br />

Lederriemen aufgehängt ist.<br />

Ich h<strong>at</strong>te nämlich ein merkwürdiges Erlebnis gehabt: als wir in Klein -<br />

Hüningen bei Basel wohnten, kam eines Tages eine uralte grüne Kutsche aus<br />

dem Schwarzwald an unserem Haus vorbei. Eine urweltliche Kalesche, wie<br />

aus dem 18. Jahrhundert. Als ich sie sah, h<strong>at</strong>te ich das aufregende Gefühl:<br />

«Da haben wir es ja! Das ist ja aus meiner Zeit!» - Es war, wie wenn ich sie<br />

wiedererkannt hätte; denn sie war <strong>von</strong> derselben Art wie die, in der ich selber<br />

gefahren war! Und dann kam ein sentiment ecoeurant, wie wenn mir jemand<br />

etwas gestohlen hätte, oder wie wenn ich betrogen worden wäre, betrogen um<br />

meine geliebte Vorzeit. Die Kutsche war ein Rest aus jener Zeit! Ich kann<br />

nicht beschreiben, was damals in mir vorging, oder was es war, das mich so<br />

stark berührte: eine Sehnsucht, ein Heimwehgefühl, oder ein Wiedererkennen:<br />

«Ja, so war es doch! Das war's doch!»<br />

Es gab noch ein anderes Erlebnis, das ins 18. Jahrhundert wies :<br />

ich h<strong>at</strong>te bei einer meiner Tanten eine St<strong>at</strong>uette aus dem 18. Jahrhundert<br />

gesehen, eine bemalte Terracotta, die aus zwei Figuren bestand. Sie stellte den<br />

alten Dr. Stückelberger dar, eine stadtbekannte Persönlichkeit aus dem Basler<br />

Leben Ende des 18. Jahrhunderts. Die andere Figur war eine seiner<br />

P<strong>at</strong>ientinnen. Sie streckt die Zunge heraus und h<strong>at</strong> die Augen geschlossen.<br />

Dazu gab es eine Legende. Es wurde erzählt, daß der alte Stückelberger einmal<br />

über die Rheinbrücke ging, und da kam diese P<strong>at</strong>ientin, die ihn so oft<br />

geärgert h<strong>at</strong>te, und jammerte ihm wieder etwas vor. Der alte Herr sagte: «Ja,<br />

ja, da muß etwas los sein mit Ihnen. Strecken Sie mal die Zunge raus und<br />

machen Sie die Augen zu!» Das t<strong>at</strong> sie auch, und in dem Augenblick lief er<br />

da<strong>von</strong>, und sie blieb stehen mit herausgestreckter Zunge - zum Gelächter der<br />

Leute.<br />

Nun h<strong>at</strong>te die Figur des alten Doktors Schnallenschuhe an, die ich<br />

seltsamerweise als die meinen, oder ihnen ähnliche, erkannte.<br />

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