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Inhalt Band II - Edocs

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kennt die Wörter, aber meist kennt er sie eben nur in<br />

ihrer manifesten Bedeutung: so, wie sie im Duden stehen.<br />

Die latente Zweitbedeutung wird nur demjenigen<br />

bewußt, der den Code der Sexualsprache erfaßt hat und<br />

sie gewohnheitsmäßig dechiffriert. 5<br />

Was wir im Text an Wörtern finden, sind keine<br />

Neuprägungen (Neologismen), sondern Neudeutungen.<br />

Mit dem sexuellen Vokabular der<br />

Umgangssprache will Borneman einen Einblick<br />

geben „in den Denkprozeß des unbekannten<br />

Sprachschöpfers.“ 6 In seinem Buch kommt er zu<br />

einer These, die zwischen den Zeilen steht: daß<br />

sich im Vokabular, in der Syntax und in der<br />

Grammatik des Verbotenen ein sprachschöpferischer<br />

Prozeß erhalten hat, der uns im Schriftdeutschen<br />

verlorengegangen ist, und daß die<br />

Sprachlogik der sexuellen Unterwelt die einzige<br />

Therapie darstellt, die unserem senilen Hochdeutsch<br />

helfen kann, die Virilität des Mittelhochdeutschen<br />

wiederzufinden. 7<br />

Das Märchen »Der Zaunkönig« beginnt mit<br />

dem Satz: „In den alten Zeiten, da hatte jeder<br />

Klang noch Sinn und Bedeutung.“ Und beim<br />

Erzählvorgang assoziierten sich die Wortklänge<br />

zu einem Hintersinn, den wahrscheinlich nicht<br />

die Kinder, aber die Erwachsenen verstanden.<br />

Heute muß der Philologe der Deutung nachhelfen.<br />

Da fast alle Wörter mehr als eine einzige<br />

Bedeutung besitzen, kann es nicht überraschen,<br />

daß sie auch in der »Nachtsprache« mehrdeutig<br />

sind. Wir können also nicht mit Dekodierungsgleichungen<br />

arbeiten, die sich stimmig durch alle<br />

Texte ziehen, sondern müssen immer auf der Hut<br />

sein, ob nicht an bestimmter Textstelle eine<br />

Bedeutungsvariante auftaucht. Besonders lange<br />

braucht der Bildungsbürger, bis er versteckte<br />

Bedeutungen aus dem Analbereich entdeckt. Mir<br />

selber fiel es erst in »Hänsel und Gretel« wie<br />

Schuppen von den Augen, als auf dem normalen<br />

wG-Gelände kein Platz mehr war für den Backofen<br />

der Hexe. So verlieren auch die geheimnisvollen<br />

Hinweise auf die Bedeutung des Reims<br />

(z.B. bei Rühmkorf) ihren beunruhigenden Stachel,<br />

und der Reim wird als Verschlüsselungsmethode<br />

erkannt. Ohne Borneman hätten wir solche<br />

Deutungen nicht gewagt. Wenn er recht hat, dann<br />

haben wir noch viele übersehen:<br />

146<br />

Nach mehr als einem Jahrzehnt der Arbeit an diesem<br />

Lexikon neige ich zu der Ansicht, daß das sexuelle Denken<br />

des deutschen Volkes in höherem Maße anal orientiert<br />

ist als das irgendeines unserer Nachbarvölker.<br />

Jedenfalls herrscht in der sprachlichen Sensitivität derjenigen<br />

deutschen Volksschichten, die den größten Teil<br />

des vorliegenden Materials geprägt haben, nicht nur ein<br />

ausgesprochener Pansexualismus, der alle Objekte, Personen<br />

und Vorgänge des Alltagslebens sexualisiert, sondern<br />

auch eine Art Analfetischismus, der solche Dinge,<br />

Personen und Vorgänge weitgehend analisiert.“ 8<br />

In den analysierten Texten kennzeichnet ein<br />

Sternchen (*) solche Überlegungen, die noch<br />

nicht zur anerkannten Sprachwissenschaft gehören.<br />

bedeutet: oben im doppelten Weltbild;<br />

und bedeutet: unten im doppelten Weltbild. Es<br />

folgen hier zunächst 25 strukturierte Märchentexte<br />

mit Kommentaren zur Dekodierung. Wo<br />

immer das möglich war, sollte durch vorsichtige<br />

Kürzung Platz gespart werden. Das war aber<br />

nicht oft der Fall, weil der <strong>Inhalt</strong> beibehalten und<br />

der Hintersinn in der Sprachform nicht zerstört<br />

werden sollte. Das Ende bildet eine Sammlung<br />

von impuristischen Motiven aus weiteren 38<br />

Märchen, von denen einige auch neue geographische<br />

Einzelheiten des doppelten Weltbildes<br />

liefern.<br />

1. Das tapfere Schneiderlein<br />

[Vorbemerkungen]<br />

[Nur wenige der Grimmschen Märchen<br />

machen den Eindruck von Fabeln, Schwänken<br />

oder Legenden. Nirgends brauchen wir die üblichen<br />

Plätze für Gott-Vater oder Sohn der theologischen<br />

Literatur (CoU & PVC). In einigen<br />

legendenartigen Texten erscheint Gott-Vater oder<br />

Petrus auf Erden und prüft die Menschen, aber in<br />

anderer Gestalt. Die Plätze CoU & PVC sind frei,<br />

vor allem für jeden König und seine Frau, aber<br />

auch für jeden Handwerksmeister und seine Frau.<br />

Wie schon berichtet, sind beide iwG beweglich<br />

zu denken, manchmal sogar außerhalb dieses<br />

Raumes. — Der Schneider in diesem Märchen<br />

nimmt nacheinander diese vier Rollen an: CoU,<br />

Cl, Per und wieder CoU.]<br />

Text, Struktur und Kommentar<br />

(Vorspiel: Der Schneider in der Werkstatt.)<br />

An einem Sommermorgen () saß ein Schneiderlein<br />

(CoU) auf seinem Tisch (unter Fu gibt es<br />

eine Ebene wie eine Tischplatte) am Fenster (Inf<br />

singularisiert) und nähte (mit der Cl-Nadel) aus<br />

Leibeskräften. (Auf der Farbtafel 16.5 sieht man<br />

ganz oben den CoU-Schneider im Schneidersitz,<br />

mit untergeschlagenen Beinen und Ovv als<br />

ausgestellten Knien, auf dem grünen Tisch mit

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