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auch hier ein Märchenmotiv, das die Existenz der<br />
urzeitlichen Großen Göttin beweist:<br />
Eine frühe deutsche Version des Märchens besagte, daß<br />
Aschenputtels wirkliche Mutter die Erde war, die, obwohl<br />
sie tot ist, als Antwort auf die Bitten ihrer Tochter<br />
aus ihrem Grab einen Feenbaum wachsen ließ. Dieser<br />
Baum brachte goldene Äpfel, Kleider und andere Gaben<br />
hervor. Deshalb scheint die »gute Fee« der späteren Versionen<br />
ein Geist der Mutter zu sein, der entmachteten<br />
Großen Göttin in ihrer unterirdischen Zufluchtsstätte. 70 ]<br />
Text, Struktur und Kommentar<br />
(Vorspiel; a: Aschenputtel und die Familie.)<br />
Es war einmal ein reicher Mann (CoU), der<br />
lebte lange Zeit vergnügt mit seiner Frau (PVC),<br />
und sie hatten ein einziges Töchterlein (Lami)<br />
zusammen. Da ward die Frau krank, und als sie<br />
todkrank ward, rief sie ihre Tochter und sagte:<br />
„Liebes Kind, ich muß dich verlassen, aber wenn<br />
ich oben im Himmel bin, will ich auf dich herabsehen.<br />
Pflanz ein Bäumlein auf mein Grab, und<br />
wenn du etwas wünschest, schüttele daran, so<br />
sollst du es haben, und wenn du sonst in Not bist,<br />
so will ich dir Hilfe schicken, nur bleib fromm<br />
und gut.“ Nachdem sie das gesagt hatte, tat sie<br />
die Augen zu und starb. Das Kind aber ging jeden<br />
Tag hinaus zum Grabe (VV) der Mutter und<br />
weinte (lp) und blieb fromm und gut. Als der<br />
Winter kam, deckte der Schnee ein weißes Tüchlein<br />
auf das Grab, und als die Sonne im Frühjahr<br />
es wieder herabgezogen hatte, nahm sich der<br />
Mann eine andere Frau (PVC). Die Stiefmutter<br />
aber hatte schon zwei Töchter (Lama) von ihrem<br />
ersten Mann, die waren von Angesicht schön<br />
und weiß, von Herzen aber garstig (borstig: Pu)<br />
und schwarz (böse wie Ut). Da fing eine<br />
schlimme Zeit für das arme Stiefkind an. „Soll<br />
die dumme Gans (Cl-Lami) bei uns in der Stube<br />
(VV) sitzen?“ sprachen sie. „Wer Brot essen<br />
(konz) will, muß es verdienen: ab in die Küche<br />
(Vag), da sollst du unsere Magd (Lami clau)<br />
sein.“ Sie nahmen ihm die schönen Kleider (Iri)<br />
weg, zogen ihm einen alten grauen Kittel (Vu-<br />
Mac) an und gaben ihm hölzerne Schuhe (Lama).<br />
Dann lachten sie es aus und führten es in die<br />
Küche. Da mußte das arme Kind von Morgen bis<br />
Abend schwere Arbeit tun, früh vor Tag (bevor<br />
der Per-Tag kommt) aufstehen (pro), Wasser<br />
(VS) tragen, Feuer anmachen (iUt), kochen (iVag)<br />
und waschen (auf dem Waschbrett, der RuV-<br />
Rumpel). Obendrein taten ihm die Schwestern<br />
(Lama) alles ersinnliche (mb: Urtext: „gebrannte“)<br />
Herzeleid an, verspotteten es und schütteten<br />
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ihm die Erbsen (Spa) und Linsen (Spa) in die<br />
Asche (MB/Fae), so daß es sitzen und sie wieder<br />
auslesen mußte. Wenn es müd war abends, kam<br />
es in kein Bett, sondern mußte sich neben dem<br />
Herd (PVC) in die Asche (Mix/MB/Fae) legen.<br />
Und weil es da immer in Asche (MB) und Staub<br />
(Spa/Güll) herumwühlte und schmutzig<br />
(mac/güll) aussah, gaben sie ihm den Namen<br />
»Aschenputtel«.<br />
(b: Haselreis und Wunschbaum.) Es trug sich<br />
zu, daß der Vater (CoU) einmal in die Messe<br />
(GV Prom) ziehen wollte (Jahrmarkt, lat. ‘mercatus’:<br />
Markt, Gottesdienst und feierliche Spiele:<br />
GV-Prom), da fragte er die beiden Stieftöchter,<br />
was er ihnen mitbringen sollte. „Schöne Kleider<br />
(TMV)“, sagte die eine, „Perlen und Edelsteine<br />
(aus Spa iVag)“, die zweite. „Aber du, Aschenputtel“,<br />
sprach er, „was willst du haben?“ –<br />
„Vater, das erste Reis (Cl), das Euch auf Eurem<br />
Heimweg an den Hut (PrP) stößt, das brecht für<br />
mich ab.“ Er kaufte nun für die beiden Stiefschwestern<br />
schöne Kleider, Perlen und Edelsteine,<br />
und auf dem Rückweg, als er durch einen<br />
grünen (lip) Busch (Vul) ritt, streifte ihn ein<br />
Haselreis (Cl) und stieß ihm den Hut (PrP) vom<br />
Kopf (GP). Da brach er das Reis ab und nahm es<br />
mit. Als er nach Haus kam, gab er den Stieftöchtern,<br />
was sie sich gewünscht hatten, und dem<br />
Aschenputtel gab er das Reis (Cl) von dem<br />
Haselbusch (Vul). Aschenputtel dankte ihm, ging<br />
zu seiner Mutter Grab (VV), pflanzte das Reis<br />
(Cl) darauf und weinte so sehr, daß die Tränen<br />
(MV) darauf niederfielen und es begossen (lp).<br />
Das Reis wuchs heran und ward ein schöner<br />
Baum. Aschenputtel ging alle Tage dreimal darunter,<br />
weinte und betete, und allemal kam ein<br />
weißes Vöglein (Cl) auf den Baum, und wenn das<br />
Kind einen Wunsch aussprach, so warf ihm das<br />
Vöglein herab, was es sich gewünscht hatte<br />
(Urtext: es mußte an dem Baum rütteln und<br />
schütteln: pls/fric/ona).<br />
(1: Das Fest im Schloß, erster Tag.) (a) Es<br />
begab sich aber, daß der König (CoU) ein Fest<br />
(Prä) anstellte, das drei Tage dauern sollte und<br />
wozu alle schönen Jungfrauen im Lande eingeladen<br />
wurden, damit sich sein Sohn (PVC: Platz<br />
der Königin, die hier nicht mitspielt) eine Braut<br />
aussuchen möchte. Die beiden Stiefschwestern<br />
(Lama) wurden auch eingeladen und waren<br />
guter Dinge. Sie riefen zu Aschenputtel (Lami):