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Inhalt Band II - Edocs

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»modern« als 1910-1945. Das erwähnte »Spiel«<br />

und damit auch die »Weltsprache« sind aber<br />

überhaupt nicht modern, sondern leben diachron,<br />

durch die Jahrtausende, sicher seit dem altägyptischen<br />

Totenbuch, vermutlich auch seit dem<br />

Gilgamesch-Epos von Uruk (ca. 2600 v.Chr.), der<br />

ältesten überlieferten Literatur. Es mag sein, daß<br />

die Strömung sich im 20. Jahrhundert so breit<br />

entwickelte, daß sie überhaupt zum Charakteristikum<br />

der Moderne wurde. Vielleicht meinte Rimbaud<br />

diesen Zustand, als er 1871 sagte: „Da im<br />

übrigen jedes Wort eine Ein=Sicht ist, wird die<br />

Zeit einer universellen Sprache kommen!“ 100 Das<br />

meint auch Höllerer: „Die Epoche der lyrischen<br />

Weltsprache ist da, oder sie wird kommen.“ 101 In<br />

anderen Zeiten muß es neben dem Impurismus<br />

andere Formen der Kunst, auch der sprachlichen,<br />

gegeben haben, die den Namen »Kunst« oder<br />

»Poesie« trugen und ihn auch (nach anderen<br />

Maßstäben) verdienten. Eine Abgrenzung wird<br />

man vornehmen können, wenn der Impurismus in<br />

allen Nationalliteraturen gründlich erforscht ist.<br />

Viele der älteren Autoren haben ihr Wissen so<br />

versteckt, daß man es kaum wiederfinden kann.<br />

So rühmt z.B. F. G. Lorca seinen Landsmann<br />

Don Luis de Góngora (1561-1627) als „Vater<br />

unsrer Sprache“ 102 : „Die alten Intellektuellen,<br />

Liebhaber der Poesie zu seiner Zeit, mußten<br />

sprachlos geworden sein, als sie sahen, daß das<br />

Kastilische in eine ihnen fremde Sprache sich<br />

verwandelte, die sie nicht zu entziffern wußten.“<br />

103 Góngora war königlicher Kaplan und<br />

hatte damit allen Grund, das impuristische Thema<br />

seiner Dichtungen hinter erhabenen Ausdrücken,<br />

lateinischen Satzbildungen, klassischer Gelehrsamkeit<br />

und „Transformationen der Mythologie“<br />

zu verbergen. „Aber um an ihn heranzukommen,<br />

muß man in die Poesie eingeweiht sein und eine<br />

durch Lektüre und Erfahrungen vorbereitete<br />

Phantasie haben.“ 104 Und weiter Lorca bei seinen<br />

Überlegungen zu Góngora: „Der Dichter muß<br />

einen Plan von den Gegenden haben, die er<br />

durchstreifen will, und er muß … vorsichtig das<br />

durchpulste und reale Fleisch bespähen, das mit<br />

dem Gedichtplan übereinstimmt … Er jagt das<br />

Bild, das sonst kaum jemand sieht, weil kaum<br />

jemand seine Bezüglichkeiten findet.“ 105<br />

Wir müssen der Versuchung widerstehen, eine<br />

lange Liste von Dichtern und Werken vorzulegen,<br />

in denen man den impuristischen Gegenstand<br />

wahrscheinlich erfolgreich suchen wird. Doch<br />

32<br />

sollen einige Ansatzpunkte genannt werden. Von<br />

den altindischen Upanishaden (ab 800 v.Chr.)<br />

zum Bhagavadgita-Gesang (800 n.Chr.), von der<br />

Offenbarung des Johannes (95 n.Chr.) bis zu den<br />

Merseburger Zaubersprüchen (10. Jh.), von Ovids<br />

Metamorphosen (ca. 2-8 n.Chr.) zu Dantes Göttlicher<br />

Komödie (ca. 1311-21) reicht die Klammer.<br />

Das Tao-te-king (Buch vom Weg und seiner<br />

Kraft) des Chinesen Lao-Tse (um 300 v.Chr.)<br />

enthält nach Francis „alle fundamentalen Lehrsätze<br />

esoterischer Kosmogenese.“ 106 Die Gralslegende<br />

in Wolfram von Eschenbachs Epos Parzival<br />

(ca. 1200-1210 n.Chr.) wird z.B. bei Shuttle<br />

& Redgove immer wieder zur Auswertung herangezogen<br />

und scheint eine geschlossene impuristische<br />

Deutung zu ermöglichen; und Arno Schmidt<br />

sagt: „… die ganze mittelalterliche Dichtung<br />

liefert hier einen der Ewigen Jagdgründe.“ 107<br />

Ranke-Graves meint, „… man könne den Dichter<br />

gut danach beurteilen, wie genau er die Weiße<br />

Göttin porträtiert. Shakespeare kannte und fürchtete<br />

sie.“ 108 Bei Ranke finden sich weitere Namen:<br />

Donne, John Clare, Keats, Coleridge,<br />

Wordsworth, Scott, Andrew Man, Ben Johnson,<br />

John Skelton, William Blake, James Macpherson.<br />

Und wir fügen die zwei hinzu, die Schmidt für<br />

ganz große Köpfe hält: Lewis Carroll und James<br />

Joyce. Mit dem Roman Finnegans Wake ist auch<br />

die Schranke der Poesie als Grenze durchbrochen.<br />

Der russische Dichter und Nobelpreisträger<br />

Joseph Brodsky schrieb 1988 109 einen Artikel<br />

Das Gedicht ist die beste Kompaßnadel und<br />

nennt darin 55 Dichternamen, die er grundlegend<br />

empfiehlt. Bekannt ist die Würdigung vieler Kollegen<br />

in Benns Essay Probleme der Lyrik 110 .<br />

Ebenso nennen Rimbaud 111 und Zimmermann 112<br />

viele Namen. In seinem Museum der modernen<br />

Poesie hat Enzensberger 96 Autoren aus 20 Ländern<br />

versammelt. Hinzu kommen dann noch einige,<br />

die vor 1910 gedichtet haben: Whitman, Baudelaire,<br />

Rimbaud, Mallarmé, Apollinaire, Breton,<br />

Novalis, Brentano, Pound, Flaubert. Protagonisten<br />

seien auch Nerval, Poe, Dickinson, Lautréamont,<br />

Hopkins, Laforgue, Block, Yeats, meint<br />

HME im Vorwort. Da fehlen immer noch neuere<br />

Namen wie Bachmann, Celan, Heißenbüttel,<br />

Hermlin, Kaschnitz und Krolow. Besonders interessant<br />

erscheint uns folgender Hinweis auf<br />

Keats, wenn Ranke berichtet: „Keats war damals<br />

24 Jahre alt und befand sich in einer kritischen<br />

Verfassung. Er hatte die Medizin um der Literatur

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