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Genitiv/Geschlechtsfall: Vul; Dativ/Gebefall:<br />
Per; Akkusativ/Anklagefall: Cl).<br />
— Front Clippings (vorn abgeschnittene<br />
Wörter). Wieder kommt das Phänomen aus dem<br />
Englischen, z.B. in (con)fess, (de)spite,<br />
(be)cause, (peri)wig, (re)cruit > croot. Bei den<br />
Analysen zur Literatur sind wir auf diese Beispiele<br />
gestoßen: (P)Insel, (Geni)Tal, (ge)laichte ><br />
leichte, (c)Rotte (frz. Fae).<br />
— Combined Clippings (vorn und hinten abgeschnittene<br />
Wörter) sind relativ selten, z.B. engl.<br />
slg. ‘still’ (distillery), ‘gate’ (alligator), ‘tec’ (detective),<br />
‘fridge’ (refrigerator). Auf ‘ni-Kot-in’<br />
und ‘m-Arsch-all’ (Schw) sind wir selbst gestoßen,<br />
eignen würden sich auch ‘d-Unke-lmond’<br />
und ‘a-frik-a’. Georges vermerkt ein Unikat mit<br />
umgekehrtem Charakter: ‘gabata’ = ‘gavata’, d.i.<br />
»Vag(dent)ata«. Nach dem b/v-Tausch ist dem<br />
Wort die Mitte herausgeschnitten worden,<br />
und das verbliebene Vorderstück wird rückwärts<br />
gelesen.<br />
— Ungewohnte Kleinschreibung macht die<br />
Nomen zum Lautmaterial, soll sie vom Alltagssinn<br />
befreien und den Blick auf die Form richten.<br />
Wie gerade gesehen, stören die Großbuchstaben<br />
besonders bei der Bildung von Anagrammen und<br />
Verkürzungen. Das ist sehr wahrscheinlich der<br />
Grund, warum H. M. Enzensberger in seinen<br />
ersten Gedichtbänden (Verteidigung der Wölfe,<br />
Landessprache, Blindenschrift) auf die üblichen<br />
Großbuchstaben verzichtete.<br />
— Versalien. Die Majuskeln kann man nun<br />
für andere Zwecke einsetzen. Marinetti: „Die<br />
großen Buchstaben werden dem Leser die Substantive<br />
bezeichnen, die eine bedeutende Analogie<br />
zusammenfassen.“ 144 Leider ist der Hinweis<br />
geheimnisvoll und wird als Methode nicht klar,<br />
obwohl Versalien (hilfreich gemeint) in manchen<br />
Texten zu finden sind. 145 Therre und Schmidt<br />
drucken in ihrer Rimbaud-Übersetzung immer<br />
wieder einzelne Buchstaben als Versalien, wahrscheinlich<br />
als Hilfen in diesem Sinne, z.B. „Lybster,<br />
Ymmer wenn du ein Bad nYmmst.“ 146 Oder:<br />
„thYrsus-blau“ 147 , „KrYpton-Iris“ 148 , „LYlien“<br />
149 , „SOnne rOllt“ 150 , „wiedergehOlt“ 151 und<br />
„glORie“ 152 . In Rimbauds Entwürfen finden sich<br />
die Hinweise „[M]“ und „[R]“ 153 . Wir verstehen<br />
so : „Hier müssen Wörter mit »M« und »R« verwendet<br />
werden“. Das wäre dann ein Hinweis auf<br />
die impuristischen Plätze der Laute. Schon zu<br />
deutlich wären z.B. diese Hilfen: ‘dUNKElmond’<br />
(Ut) und ‘mARSCHall’ (Schw).<br />
— Assonanz (Minimalreim mit gleichen Vokalen,<br />
z.B. Sonne: Rose; gern in spanischen Romanzen<br />
und bei russischen Dichtern; auch bei<br />
Mallarmé 154 ) und Alliteration (Minimalreim mit<br />
gleichem Anfangslaut, z.B. Wind und Wetter,<br />
Feuer und Flamme). Auch auf diese Verfahren<br />
wird verschiedentlich bedeutungsvoll hingewiesen,<br />
doch fehlen mir genügend Beispiele, um eine<br />
Regel abzuleiten. Bei Enzensberger finden wir<br />
die Gedichtzeile: „… und der Litze (Rect), dem<br />
Diktaphon (Rect) des Dompteurs (Ped)“. Die<br />
Majuskeln dieser Zeile (LDD) alliterieren mit<br />
dem impuristisch Gemeinten: »LeerDarm« und<br />
»DickDarm«. An anderer Stelle heißt es sehr<br />
auffällig: „nackte Häuser“ (Nats aper). Alliterierende<br />
Nomen mit H-Anlaut gibt es in riesiger<br />
Fülle, so daß man die Auswahl des Ersatzwortes<br />
begründen muß. Das geht hier mit dem Eintrag<br />
im französischen Wörterbuch: ‘lune’ »nackter<br />
Hintern«. Solche sprachlichen Verstecke sind<br />
sehr schwierige Randbereiche der Dekodierung,<br />
nach Wadler sind aber gerade diese Methoden die<br />
eigentlichen Schlüssel zum Verständnisproblem.<br />
Eine einfache Formel zur Entschlüsselung<br />
„poetisch regenerierter Sprache“ hat sich bei dieser<br />
Sammlung leider nicht ergeben, ist wohl auch<br />
nicht zu erwarten; denn der Dichter „macht sich<br />
jede semantische oder syntaktische Zweideutigkeit<br />
zunutze, die er aufspüren kann; da nämlich<br />
das Doppel-, ja Vielsinnige, das von den Anfängen<br />
der menschlichen Sprache ihr eigen war und<br />
aus ihr nicht zu verbannen ist, ihm das erlaubt.“<br />
155 „Aber diese Rückkehr der Wörter zu<br />
ihrer ersten Natur, d.h. zu ihrer Vielfalt von Bedeutungen,<br />
ist nichts anderes als der erste Akt des<br />
poetischen Verfahrens.“ 156 Aus diesem Satz von<br />
Octavio Paz ergibt sich eine Vorstellung vom<br />
Anfang der Sprache und der „ersten Natur“ der<br />
Wörter. Man kam mit wenigen Wörtern (Wurzeln)<br />
aus, denn die Wörter bedeuteten vieles.<br />
Gleiche Strukturen wurden gleich bezeichnet, erst<br />
später wurden Wörter und Dinge differenziert,<br />
die Welt zerdacht. Das „poetische Verfahren“<br />
will zu diesen Wörtern zurückführen und findet<br />
den alten Gleichklang von Cunnus, Kosmos und<br />
Kultus im menschlichen Körper: „In unserem<br />
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