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Inhalt Band II - Edocs

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willen aufgegeben.“ 113 Uns selbst hat die medizinische<br />

Terminologie für die Geheimnisse der<br />

lateinischen Sprache die Augen geöffnet, und so<br />

scheint es vielen Studiosi ergangen zu sein. Wilhelm<br />

Theopold trägt in seinem Buch Doktor und<br />

Poet dazu 77 Biographien deutschsprachiger<br />

Dichter zusammen, darunter sind natürlich der<br />

große Benn und viele andere, von denen wir ansatzweise<br />

in der Einleitung berichtet haben —<br />

wobei z.Z. noch unklar ist, ob alle 77 mit dem<br />

Impurismus zu tun haben. Zu ergänzen wäre vor<br />

allem William C. Williams. Ebenso kann man<br />

über ein Dichternamen-Lexikon alle diejenigen<br />

finden, die über Jura oder Theologie ans Lateinische<br />

geraten sind und später Dichter wurden.<br />

Auch die haben wir in der Einleitung genannt.<br />

Die Werke des englischen Priesters George Herbert<br />

(1593-1633) erschienen postum als The<br />

Temple: Sacred Poems and Private Ejaculations.<br />

Seit 1990 gibt es eine Zeitschrift Kunst und Medizin,<br />

in der sich vermutlich auch manche Einsicht<br />

versteckt. Schließlich müßte man an alle Dichter<br />

denken, die zugleich Freimaurer sind oder waren,<br />

soweit man das feststellen kann, z.B. Goethe,<br />

Schiller, Herder und Wieland. Rühmkorf spricht<br />

über »Logenbrüder« und dann besonders über<br />

einen: „Der meist tief vermummt operierende<br />

Ringelnatz — der mit der Pappnase, die dem<br />

Kenner unschwer als Dämonenmaske ins Auge<br />

sticht — ...“ 114 Er hat in der Romanze Das scheue<br />

Wort die heimliche Rolle der Sprache nur angedeutet,<br />

und Rühmkorf sagt entschuldigend, daß<br />

»wir« „nicht einfach herausträllern können, was<br />

uns heiß und tief am Herzen liegt.“ 115 Kafka steht<br />

thematisch und methodisch abseits, und Karl<br />

Mays unbewußter »Fonetismus« kann für die<br />

Großen auch kein Vorbild gewesen sein.<br />

Wir haben den Impurismus ausführlich als<br />

Weltanschauung kennengelernt, ihn als diachrone<br />

Literaturströmung (nicht Epoche) ins Auge gefaßt<br />

und mit einigen Beispielen belegt. Eine Poetik<br />

des Impurismus ist eine Theorie dieser Art von<br />

Dichtkunst. Sie ist Teilgebiet der Ästhetik und<br />

gehört traditionell in den Bereich der Literaturwissenschaft,<br />

doch ist heutzutage die Kenntnis<br />

möglichst vieler Sprachen wichtiger als möglichst<br />

vieler Werke: „Die Sprachwissenschaft ist die<br />

Schwester der Poetologie.“ 116 Sie müßte alle<br />

Verfahren beschreiben, wie die Werke dieser Art<br />

aus Sprache und Wirklichkeit gestaltet sind. Das<br />

geht mit einiger Sicherheit erst nach der Analyse<br />

aller Werke, die man im hermeneutischen Zirkel<br />

finden muß. Der vorliegende Versuch bleibt daher<br />

ein erster Ansatz, eine Hilfsarbeit, auf der<br />

man aufbauen kann. Doch wollen wir hier die<br />

Methoden zusammentragen, auf die wir bisher<br />

gestoßen sind. Mallarmé und Baudelaire leiteten<br />

die „Poetik hermetischer Dichtung“ ein. 117 Der<br />

»New Criticism« gründet seine Wesens-Poetik<br />

auf die Sprache. Dazu gehören Ransom, Tate,<br />

Brooks, Warren, Coleridge, Poe und Eliot.<br />

Gemeinsam ist den »Neuen Kritikern« die analytische<br />

Betrachtung des literarischen Textes und die Ablehnung<br />

aller für die Literatur unerheblichen Elemente anderer<br />

Disziplinen. Das autonome literarische Kunstwerk gilt<br />

ihnen als Wortgefüge, das, an sich eine Vielheit oft widersprüchlicher<br />

Tendenzen, durch ausgewogene<br />

Gewichtsverteilung zu einem Organismus gefügt ist. 118<br />

Da das Wort »Interpretation« so viele taube<br />

Blüten hervorgebracht hat, sprechen wir mit Enzensberger<br />

beim Dekodieren immer von »Analysen«.<br />

Persönlich ist uns erfreulich, daß die vielgescholtene<br />

»werkimmanente Methode« mit dem<br />

Impurismus ihre Wiederkehr feiert. Ja, man müßte<br />

sogar von einer »wortimmanenten Methode«<br />

sprechen; denn: „Der Dichter nimmt die Sprache<br />

beim Wort.“ 119 Die Rimbaud-Übersetzer Schmidt<br />

und Therre verurteilen alle Versuche, hermetische<br />

Texte mit Wortetiketten (wie z.B. Magie, Schamanismus,<br />

Telepathie, Hypnose, Urschreie,<br />

Mythen) zu erfassen, als »Kappes« und »dummes,<br />

opportunistisches Geschwätz«. 120 Und über<br />

ihre eigene Arbeit sagen sie:<br />

wir sind mit diesen wörtern, buchstaben und silben wie<br />

mit sonden in die tiefsten schründe unserer körper eingedrungen,<br />

… wir haben mit den joints der buchstaben einen<br />

trip ins über=sinnliche gemacht, … daß z.b. einige<br />

buchstaben ein satanisches lachen quasi aus uns herausgebürstet<br />

haben, … daß man bloß die augen der wörter,<br />

buchstaben und silben als fernrohre, fahrstühle, mikroskope,<br />

schleudersitze etc. zu nutzen braucht (mit etwas<br />

courage), damit dieser ganze reduzierte KAPPES, auf<br />

den sie hier [in Deutschland] alle so versessen sind, ein<br />

für alle mal VERGESSEN werden kann … 121<br />

Wir tragen in uns eine Grund=Sprache, über=irdisch und<br />

menschlich zugleich, aus der heraus sich die Welt in<br />

ganz neuem Licht abzeichnet. Das ist eher ein Zwitschern<br />

als eine Sprache. Es ist die Sprache ursprünglichen<br />

Reichtums, das Sprechen unseres Körpers als<br />

leuchtendes Wesen … Diese Grund=Sprache, sie ist<br />

nicht verschieden, sie ist in dieser Sprache enthalten. 122<br />

Und Cocteau überliefert Rilkes Ansicht:<br />

Eben diese Geheimsprache, die jedem Künstler eigen ist,<br />

entrückt die Werke in jene große Einsamkeit, von der<br />

schon die Rede war … Das war es wohl auch, was Rilke<br />

erklären wollte, als er mir schrieb, daß die Dichter eine<br />

einzige Sprache sprechen, selbst wenn sie in fremden<br />

Sprachen sprechen und einander nicht verstehen. Diese<br />

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