Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
(3: Barmherzigkeit des Schneiders.) Der<br />
Unglückliche (Ps) schlief die ganze Nacht vor<br />
Müdigkeit (Moll), Schmerz und Hunger (Libi).<br />
An dem Galgen (Lama) hingen zwei arme Sünder<br />
(Cl), und auf dem Kopf eines jeden saß eine Krähe<br />
(Cl). Gegen Morgen sprach der eine Gehenkte:<br />
„Bruder, wachst du?“ – „Ja, ich wache“, antwortete<br />
der zweite. „So will ich dir etwas sagen? Der<br />
Tau (VS), der heute nacht über uns vom Galgen<br />
herabgefallen ist, gibt jedem, der sich damit<br />
wäscht, die Augen wieder. Wenn das die Blinden<br />
wüßten!“ Als der Schneider das hörte, drückte er<br />
sein Taschentuch (PrP) auf das Gras und wusch<br />
seine Augenhöhlen mit dem Tau. Da füllten sie<br />
sich alsbald mit frischen und gesunden Augen<br />
(Tss). Als die Sonne aufging, sah der Schneider<br />
(mG) vor sich in der Ebene die große Königsstadt<br />
(Mak mit ReAn) mit ihren Toren (Cl), Türmen<br />
(Vag/Rect), goldenen Köpfen (PVC) und Kreuzen<br />
(Ut/Ovv). Er holte eine Nähnadel (Per) aus der<br />
Tasche (Scr), und als er den Zwirn einfädeln (ej)<br />
konnte, sprang (csc) sein Herz (Scr) vor Freude.<br />
Er dankte Gott für die erwiesene Gnade und vergaß<br />
auch nicht, für die armen Sünder zu bitten,<br />
die da hingen wie der Schwengel (Cl) in der<br />
Glocke (Vag) und die der Wind aneinanderschlug.<br />
Dann nahm er sein Bündel (Scr) auf den<br />
Rücken (DP) und ging unter Singen und Pfeifen<br />
weiter.<br />
(a) Ein braunes (aph) Füllen (Vul) sprang frei<br />
(vac) im Felde herum. Der Schneider packte es an<br />
der Mähne, wollte sich aufschwingen (indu) und<br />
in die Stadt (wG) reiten (gv). Das Füllen aber bat<br />
um seine Freiheit (Ii): „Ich bin noch zu jung,<br />
brich (def) mir nicht den Rücken entzwei, laß<br />
mich laufen, dann werde ich dir’s lohnen, wenn<br />
ich stark geworden bin.“ – „Lauf hin, du Springinsfeld“,<br />
sagte der Schneider und gab ihm noch<br />
einen Hieb mit der Gerte (Per < *ereGt) über den<br />
Rücken (Nats), daß es vor Freude mit den Hinterbeinen<br />
ausschlug. — (b) Der Schneider hatte seit<br />
gestern nichts gegessen (keine Lotspeise: CS) und<br />
dachte bei sich: „Das erste, was mir begegnet,<br />
muß herhalten (konz).“ Da schritt ein Storch (Ut-<br />
CoRu) über die Wiese, bat aber: „Ich bin ein heiliger<br />
Vogel (Ut: im Volksglauben unverletzlich),<br />
laß mich leben, ich werd’s dir ein andermal vergelten.“<br />
– „Zieh ab, Langbein (Ut-CoRu)“, sagte<br />
der Schneider. Der Storch ließ die langen Beine<br />
hängen (CoRu) und flog fort. — (c) Auf einem<br />
Teich (Vul) schwammen ein paar junge Enten<br />
214<br />
(Cl). Der Schneider packte eine davon und wollte<br />
ihr den Hals (Vamu) umdrehen (vlv). Da fing eine<br />
alte Ente (lat. ‘anas’ *zu ‘anus’ As > metaphorisch<br />
Vamu) im Schilf laut an zu kreischen,<br />
schwamm mit aufgesperrtem Schnabel (VVaper)<br />
herbei und bat ihn, sich der Kinder (Cl) zu erbarmen.<br />
Der gutmütige Schneider setzte die Gefangene<br />
wieder ins Wasser. — (d) Bald stand er vor<br />
einem Baum (Vag), der halb hohl war, und sah<br />
die wilden Bienen (Cl-Lami-Hy) aus- und einfliegen.<br />
„Der Honig (VS) wird mich laben“, dachte<br />
er, aber der Weisel (Ut: die Bienenkönigin) kam<br />
heraus, drohte und sprach: „Wenn du mein Volk<br />
(VV-Cl) anrührst (agdi), werden dir unsere Stacheln<br />
(Cl) wie zehntausend glühende Nadeln in<br />
die Haut (CuPi/CuLax) fahren. Läßt du uns aber<br />
in Ruhe, so wollen wir dir ein andermal dafür<br />
einen Dienst leisten.“ — (e) Der Schneider<br />
schleppte sich mit ausgehungertem Magen in die<br />
Stadt (wG), und da es eben zu Mittag läutete,<br />
konnte er sich gleich im Gasthaus (Vag) an den<br />
Tisch setzen. Bald fand er auch Arbeit und<br />
Unterkommen bei einem Meister (Ut). Da er sein<br />
Handwerk (die Schneiderei: *tail-oring) von<br />
Grund auf gelernt hatte, wurde er bald berühmt,<br />
und jeder wollte seinen neuen Rock (Vag) von<br />
dem kleinen Schneider genäht (gv: Küpper)<br />
haben.<br />
(4: Heimtücke des Schusters.) Inzwischen<br />
war sein ehemaliger Kamerad, der Schuster, Hofschuster<br />
(Schw) geworden. Um der vermuteten<br />
Rache des Schneiders zuvorzukommen, wollte er<br />
ihm eine Grube (ein Grab) graben. Abends<br />
schlich er sich zum König (wohl durch den Rect-<br />
Gang wie ein »Arschkriecher«, pardon, so sagt<br />
der Volksmund), um den Schneider anzuschwärzen<br />
(mit Fae bestreichen). Er meldete, der<br />
Schneider habe sich vermessen, die goldene Krone<br />
(CoU) wieder herbeizuschaffen, die vor langer<br />
Zeit verlorengegangen sei. Am andern Morgen<br />
verlangte der König (CoU) vom Schneider, die<br />
goldene Krone herbeizuschaffen, sonst müsse er<br />
für immer die Stadt verlassen. Der Schneider ging<br />
zum Tor hinaus und kam zu dem Teich (Vul) mit<br />
den Enten (c). Die alte Ente (Vamu) wollte helfen<br />
und tauchte mit ihren zwölf Jungen (Cl) unter.<br />
Bald war sie wieder oben und saß mitten in der<br />
Krone (CoU), die auf ihren Fittichen (Lami) ruhte,<br />
und die zwölf Jungen (Ring von 12 Cl)<br />
schwammen rundherum, hatten ihre Schnäbel<br />
untergelegt und halfen tragen. Die Krone (CoU)